Nicht schwarz oder weiß

Über Rassismus und die Entstehung der cubanischen Kultur

„Dunkelhäutige Cubaner müssen öfter mit intensiven Kontrollen durch Staatsdiener rechnen. Sie werden bei Bewerbungen um freie Stellen und Studienplätze ebenso benachteiligt, wie bei der Zulassung eines privaten Kleingewerbes“.  Ich lese den Satz mehrfach, denn ich kann es nicht fassen, dass in unserem Reiseführer tatsächlich solche Dinge stehen.

Nicht selten überkommt einen die Fassungslosigkeit, wenn man auf eine Darstellung der cubanischen Verhältnisse in deutschen Medien stößt. Seien es Fernsehdokumentationen, Zeitungsartikel, Veröffentlichungen des Auswärtigen Amtes oder Reiseführer. Kein Medium wird ausgelassen, um von den desaströsen Zuständen auf der Insel zu berichten und klarzustellen, wie katastrophal das Leben in einem kommunistischen Schreckensregime tatsächlich ist, unabhängig davon, ob die beschrieben Phänomene tatsächlich dem sozialistischen Charakter des Gesellschaftssystems eigen sind.

Warum mich die Darstellung der Diskriminierung der „Dunkelhäutigen Cubaner“ so irritiert, liegt vornehmlich daran, weil es ein stereotypes Bild von Rassismus zeichnet, das es so hier nicht gibt. Ich unterhielt mich mit María de los Angeles Pernas Salmón, Protagonistin des Filmes Zucker und Salz, über dieses Zitat und sie sagte nur „Wir sind es ja gewöhnt, dass die Menschen falsche Informationen über Cuba verbreiten, aber dass sie so dreist lügen, dass man nur auf die Straße gehen muss, um das Gegenteil zu erleben, dass gibt es selten.“
Ich brauche lediglich mein Zimmer zu verlassen und über den Campus zu laufen, um zu sehen, dass hier alle Facetten von Hautfarben an der Universität vertreten sind. Eher wundere ich mich immer wieder darüber, dass beinahe genau so viele Frauen wie Männer an der polytechnischen Universität von Havanna studieren, das kennt man von naturwissenschaftlichen Unis in Deutschland ganz anders. Ich unterhalte mich über das Zitat mit noch ein paar anderen Freunden und alle sind irritiert, fragen nach, von wann der Reiseführer sein soll und ob das ernst gemeint sei. Sie verstehen nicht so richtig, warum jemand aufgrund seiner Hautfarbe darin benachteiligt sein sollte auf eigene Rechnung (cuenta propia) zu arbeiten oder häufiger kontrolliert werden müsse. Letzteres kenne ich nur zu gut aus Deutschland, wenn in der Bahn oder im Straßenverkehr mal wieder „verdachtsunabhängige Kontrollen“ ganz zufällig nur bei Menschen mit vermutetem Migrationshintergrund durchgeführt werden.

Zwei Arten von Staatsgewalt

Während unseres Gespräches mit Oscar Martinez vor ein paar Wochen sagte dieser, die freien Stellen in staatlichen Unternehmen sollten insbesondere durch junge Menschen, Frauen und Schwarze besetzt werden. Schon damals hakten wir nach. Dezidiert Schwarze zu fördern sei deshalb wichtig, weil sie im Laufe der Geschichte Cubas lange diskriminiert worden sind und man diese Diskriminierung endgültig aufheben möchte. Etwas Wahrheit wird also dran sein an dem, was der Reiseführer schreibt, jedoch scheint es hier auf Cuba andersherum zu sein, als in Deutschland. Während die Diskriminierung von Seiten der Staatsgewalt auf Cuba keine Rolle mehr spielt, arbeitet der Staat trotzdem daran, gezielt Menschen deren Vorfahren versklavt und systematisch ermordet wurden, zu fördern. In Deutschland ist es ausgerechnet die Polizei, die Nazis schützt, die Menschen mit Migrationshintergrund angreifen, da sind es die Asylgesetze, die Flüchtlingen das Leben zur Hölle machen. Ich erlebe in meinem Alltag in Deutschland häufiger, dass die Bürger, ob Antifaschisten auf der Straße oder Kirchengänger, gegen Diskriminierung und diesen institutionellen Rassismus eintreten, als dass sich der Staat darum scheren würde.

Wie die Sklaven nach Cuba kamen

So wie in allen Teilen Amerikas, sind auch nach Cuba ab dem 16. Jahrhundert Schiffsladungen voller Sklaven aus Afrika gelandet, um die enorme Produktivitätssteigerung in der Landwirtschaft, insbesondere Zucker und Tabak, fortführen zu können. Die weitere Steigerung war zu diesem Zeitpunkt deshalb gefährdet, weil als versklavte Arbeiter von den spanischen Kolonialherren, ursprünglich die indigene Bevölkerung eingesetzt wurde. Nach wenigen Jahren schon führten Krankheiten, Tod durch Erschöpfung und Selbstmord, um sich von der Demütigung zu erlösen, zur Ausrottung der indigenen Bevölkerung, bis 1544 von ursprünglich 112.000 nur noch 893 von ihnen übrig waren. Um den Durst nach Reichtum der Spanier zu stillen, wurden massenweise Sklaven aus Afrika auf die Plantagen geschickt. Anders als im Norden Amerikas, wo die englischen und französischen Eroberer sich niederließen und eine eigene Wirtschaft entwickelten, nutzen die Spanier den reichhaltigen, fruchtbaren cubanischen Boden aus, bemühten sich jedoch nicht um den Aufbau einer Infrastruktur und einer Ökonomie die sich eigenständig hätte entwickeln können. Die meisten Güter für den täglichen Gebrauch wurden importiert und so begann die ewige Misere Cubas, immer abhängig zu sein von Importgütern und niemals selber produzieren zu lernen. Doch über die historische Unterentwicklung der cubanischen und Lateinamerikanischen Wirtschaft schreiben wir sicher an anderer Stelle mehr

Das Konzept der Transkulturation

Fernando Ortíz Fernandez wird nach Kolumbus und Humboldt als dritter Entdecker Cubas bezeichnet. Er erforschte Mitte des 20. Jahrhunderts nicht wie einst Kolumbus die Breiten und Längen Cubas, auch nicht wie Humboldt die Flora und Fauna, sondern die Herausbildung der cubanischen Nation, der „Nación Criollia“. Im Zentrum steht dabei sein Konzept der Transkulturation, das sich mit der Beeinflussung einer nationalen Kultur durch andere Kulturen befasst. Cubas Bevölkerung setzt sich aus verschiedenen Immigrationsströmungen zusammen, beginnend vor ca. 10.000 Jahren mit den ersten Migrationen von Nordamerika aus. Damals, als die Polkappen noch nicht geschmolzen waren, war der Weg zwischen Nordamerika und den karibischen Inseln wesentlich kürzer und so kamen die ersten Menschen auf Cuba an. Es folgten die Migrationen aus Zentralamerika, später die aus Lateinamerika. Diese Strömungen bildeten drei unterschiedliche indigene Stämme mit unterschiedlichem Entwicklungsgrad, abhängig von dem Zeitpunkt ihrer Migration. Als Kolumbus Cuba 1492 „entdeckte“ kamen die ersten Spanier auf die Insel und es kam zu einem Kulturschock zwischen der weit entwickelten Kultur der iberischen Halbinsel und der dagegen sehr primitiven Entwicklungsstufe der Aborígenes. Kurze Zeit später schon war „Criollo“ derjenige, der auf Cuba geboren wurde, egal ob Spanier oder Aborígen. Knapp zwanzig Jahre nach Kolumbus Ankunft begann die brutale Kolonisation Cubas, es kamen immer mehr Spanier auf die Insel und mit ihnen die Sklaven, 95% von ihnen aus der Subsahara. Die Protokolle besagen, dass zwischen 1512 und 1865 mehr als 500.000 Afrikaner nach Cuba geschifft wurden, was bei einer Gesamtzahl von 100.000 Bewohnern des Landes Anfang des 16. Jahrhunderts enorm war. Schließlich wurde 1886 die Sklaverei auf Cuba verboten und um dennoch den Bedarf an Arbeitskräften zu decken wurden 150.000 Chinesen zu miserablen Bedingungen als Feldarbeiter angeworben.

Wenn ich heute über den Campus laufe, kann ich mit eigenen Augen sehen, was Ortíz mit Transkulturation meinte. Es gibt nicht nur schwarz oder weiß, groß oder klein, braune oder blaue Augen. In der cubanischen Gesellschaft sieht man jede Facette, jede Graduierung und alle wissen, dass keiner von ihnen mehr Cubaner ist, als die anderen oder gar irgendwie ein Vorrecht gegenüber den anderen hätte. Das Cubanische ist der Mix der Hautfarben wie der  Kulturen, das macht ihre Einzigartigkeit aus.

Es ist gut möglich, dass sich die jahrhundertelange Diskriminierung von Schwarzen als Erbe der Kolonialzeit und der Sklaverei noch nicht vollständig aus den Köpfen aller hat verbannen können, schließlich entwickelt sich das Bewusstsein langsamer als das Sein. Das Sein auf Cuba ist in dieser Hinsicht fortgeschritten, egal was unser Reiseführer dazu schreiben mag, denn eines ist klar: Cubaner, das sind alle und cubanisch ist nur das, was sich aus all den verschiedenen Teilen zusammensetzt.

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2 Gedanken zu „Nicht schwarz oder weiß“

  1. Spannend, spannend! Vor allem, da Ortiz in meinem Anthropologiestudium auch eine Rolle gespielt hat. Sein Konzept der Transkcùlturation wurde dort behandelt als eines der ersten, welches „Kultur“ als etwas sich gegenseitig beeinflussendes ansieht. Eine dominate kultur ersetzt nicht vollständig eine andere, sondern es entsteht etwas Neues. Dennoch war einer der Kritikpunkte an Ortiz Theorie, dass er trotz allem davon ausgeht, dass die neue Kultur die alten ersetzt. Es entsteht zwar etwas neues, gemeinsames, welches aber dann selbst dominant wirkt. Die „alten“ , „ursprünglichen“ Kulturen verschwinden. Soweit ich mich erinnere, wird der Transkulturationsprozess auch irgendwann als abgeschlossen angenommen, so wie heute „die“ cubanische Kultur existiert. In diesem Zusammenhang lernte ich dann das Konzept der Interkulturation schätzen. Dieses geht nämlich davon aus, dass diese „ursprünglichen“ Kulturen bestehen beleiben. In den kulturellen „Zwischenräumen“, geschaffen durch Kommunikation, entwickelt sich aber zusätzlich eine neue, gemeinsame Kultur, wie z.B. die Cubanische. Sie ersetzt aber nicht die, aus welchen sie entstand, sondern existiert als verbindenes Medium zwischen den verschiedenen Kulturen und wird konstant durch sie beeinflust. Nur so ein paar Gedanken dazu.
    ( http://de.wikipedia.org/wiki/Interkulturalit%C3%A4t#Definition_der_Interkulturalit.C3.A4t )

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