Drei mal internationaler Tag der Studierenden

Den einen ein Kampftag, den anderen ein Feiertag

17.11.2009 Essen: Ich befinde mich inmitten einer Masse von Schülerinnen und Schülern, wir laufen durch die Essener Innenstadt und brüllen uns die Seele aus dem Leib. „Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Bildung klaut!“. Bundesweit finden an diesem Tag Demonstrationen gegen das marode deutsche Schulsystem statt, bundesweit setzen sich SchülerInnen und Studierende gemeinsam für gleiche Bildungschancen für alle ein – Ihre Erfolge sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein, aber der Beginn meines unablässigen politischen Engagements.

17.11.2011 Berlin: Die Studiengebühren wurden in den meisten Bundesländern abgeschafft, Kopfnoten gibt es auch nicht mehr. Wirklich geändert hat sich an der systematischen Ungerechtigkeit des Bildungssystems aber nichts, sonst wäre ich nicht bei dieser bitteren Kälte auf Berlins Straßen unterwegs und würde mir die Füße abfrieren, während ich mit ein paar anderen versuche die Spitze der Demo in die richtige Richtung zu manövrieren. Vergleichsweise wenig SchülerInnen haben die warmen Klassenzimmer verlassen können, 3500 sind an diesem Morgen gekommen, um für mehr Geld für Bildung und gegen das dreigliedrige Schulsystem zu kämpfen.

17.11.2014 Havanna: Ich verlasse verschwitzt und erschöpft meinen Klassenraum, drei Stunden „Historia de Cuba“ in schnellem cubanischen Spanisch liegen hinter mir und der Ventilator hat nicht funktioniert. Auf meinem Weg durch die schattigen Gänge des Universitätsgeländes, vorbei an Palmen, grünen Wiesen und Betonklötzen, schallt mir Lärm entgegen. Je näher ich dem Hauptgebäude komme, desto klarer wird, was sich dahinter verbirgt: das Geschnatter von mehreren Hundert Studenten vermischt mit außergewöhnlichen musikalischen Klängen. Ich gehe die letzte Treppe hoch und sehe vor mir plötzlich unzählige, verschiedene Nationalfahnen die einen Gang schmücken, der so voller StudentInnen ist, dass man kaum sieht, dass sich an seinen Seiten Tische säumen. Ich erkenne die Fahne von Angola, die Fahnen von Brasilien, Jamaica, Venezuela – Cuba ist natürlich auch dabei. Plötzlich steht Tumelo vor mir, er kommt aus Botswana und hat sich ein traditionelles Gewand aus seiner Heimat übergezogen. Ich frage ihn, was los ist und er zerrt mich zum Tisch der karibischen Inseln an dem Cherry steht und gerade jemandem die Gewürze ihres Landes unter die Nase hält. Auf dem Weg läuft Astrick an uns vorbei, ihr Hut stammt offenbar aus ihrem Heimatland Peru und sie strahlt über das ganze Gesicht. Tumelo erklärt mir, dass heute der Internationale Tag der Studierenden sei und deshalb alle internationalen Studierenden der Uni ihr Land vorstellen würden. Das Mikrophon wechselt, jetzt wird gesungen – ich kenne weder Sprache noch Herkunftsland aber es ist auch deshalb schwer zu verstehen, weil neben mir auf einem Laptop ein Video mit einem Remix von verschiedenen Lateinamerikanischen Rappern im Dauerloop läuft.

¡Gleichberechtigung! – und zwar nicht nur auf dem Papier

Die CUJAE ist nicht nur unter cubanischen Studierenden eine der begehrtesten Universitäten des Landes. Mehr als 250 ausländische Studenten und Studentinnen sind hier für ein Studium von fünf Jahren eingeschrieben, 210 von ihnen haben ein Vollstipendium des cubanischen Staates. Sie können im Wohnheim auf dem Campus wohnen, bekommen drei Mahlzeiten am Tag und zusätzlich ein kleines Taschengeld. Das gleiche Stipendium bekommen cubanische Jugendliche übrigens auch, wenn eingeschätzt wird, dass sie zu weit vom Campus entfernt wohnen, was aktuell auf mehr als 2000 von den 8000 Studierenden der CUJAE zutrifft. Die ausländischen Studierenden bekommen vor Beginn ihres Studiums außerdem einen einjährigen Vorbereitungskurs, um in allen für ihr Studium relevanten Fächern den gleichen Wissenstand, wie ihre zukünftigen cubanischen KommilitonInnen zu erhalten und um Spanisch zu lernen.

Nicht nur, dass der cubanische Staat ein Bildungssystem* aufgebaut hat, das all seinen Landsleuten einen gerechten Zugang zu umfassender Bildung ermöglicht, nein er eröffnet dieses auch der Welt. Die meisten der internationalen Studierenden kommen aus Lateinamerika und Afrika, aus ärmsten Verhältnissen und ohne Cubas Stipendien, wären wahrscheinlich die wenigsten von ihnen an einer Universität gelandet.

Freunde von uns waren kürzlich auf einem Treffen internationaler Studierender Cubas an der Universität von Havanna und haben uns davon berichtet. Neben vielen anderen Themen ging es wohl auch um die Frage, wie man die internationalen Studierenden bezeichnen würde. Der gängige Begriff Extranjeros (Ausländer) würde nämlich stets hervorheben, dass sie nicht dazu gehören würden. Besser wäre „Cubanische Studierende, die im Ausland geboren wurden“ um zu betonen, dass es zwischen ihnen und den anderen cubanischen Studierenden keinen Unterschied gäbe. Darauf legt der cubanische Staat viel Wert und vergibt deshalb temporäre Aufenthaltsgenehmigung an all diejenigen, die hier studieren, ob für sechs Jahre oder nur sechs Monate. Mit diesem Dokument bekommt man automatisch die gleichen Rechte wie CubanerInnen, ob es dabei um den Zugriff auf das kostenlose Gesundheitssystem geht, oder um die stark subventionierten Preise für kulturelle Einrichtungen wie Theater oder Museen, für die man als Urlauber das 24-fache bezahlen würde. So kostet ein ein Eintritt in ein Kunstmuseum für uns, als Studierende, nur 5 MN (umgerechnet 15 Cent), als Touristin würde ich 5CUC (4€) zahlen. Die Debatte um das Wort Extranjero erinnert mich an viele Debatten um die Kraft der Wörter in Deutschland. Nur das hier auf Cuba die Sprache der Realität angepasst werden soll und in Deutschland es oft bei der geänderten Worten bleibt, aber die eigentliche Diskriminierung nicht angetastet wird. Ausländische Studierende können sich hier wirklich als gleichberechtigter Teil der Gesellschaft wahrnehmen. In Deutschland redet man zwar viel über Gleichheit und in den Universitäten schreibt man auch gern von den ManagerInnen und ChefInnen, aber in den oberen Etagen sitzen nach wie vor hauptsächlich Männer. Wenn eine Frau dann doch mal einen der führenden Posten abbekommen hat, dann verdient sie trotzdem durchschnittlich 22% weniger als ihre Kollegen. Auch redet man nicht mehr von den Ausländern, sondern von Menschen mit Migrationshintergrund, diese Menschen werden aber dennoch weiterhin strukturell diskriminiert.

Hilfe zur Selbsthilfe

Im Frühjahr 2014 haben sich in Deutschland die Strukturen der Bildungsstreiks mit den Flüchtlingsprotesten zusammengetan und so haben SchülerInnen ihre Klassenräume verlassen, um für die Rechte von Menschen einzutreten, die aus ihren Ländern verjagt worden sind, aus politischen, ökonomischen oder ethnischen Gründen. „Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört“ war eine der zentralen Losungen einer der Flüchtlingsgruppen. Die Unterentwicklung der meist afrikanischen aber auch lateinamerikanischen Länder, ist die Bedingung für den Reichtum der so genannten Industriestaaten. Würden die großen kapitalistischen Global Player diese Länder nicht als Quellen von Arbeitskraft und Rohstoffen ausbeuten, würden sie nicht von der Import-/Export-Abhängigkeit dieser Länder profitieren, so könnten sie selbst nicht so reich sein.

Cuba gehört nicht zu diesen Global Playern, ganz im Gegenteil. Es hat sich aber zum Auftrag gemacht diesem Ungleichgewicht mit seinen wenigen Mitteln entgegenzuwirken und ermöglicht es jungen Menschen aus den ärmsten Ländern der Welt auf Cuba eine Ausbildung zur ÄrztInnen, zur IngenieurInnen oder TheaterwissenschaftlerInnen zu machen, um dann in ihr Land zurück zu kehren und vor Ort zu arbeiten. Denn nur, wenn ein Land sich aus sich selbst heraus entwickeln kann, seinen eigenen Weg suchen darf, ohne von der kulturimperialistischen Keule anderer Staaten erschlagen zu werden, kann eine tatsächliche Entwicklung stattfinden. Cuba maßt sich nicht an, in eines dieser Länder mal ein bisschen Demokratie zu tragen, sondern leistet Hilfe zur Selbsthilfe. Es versucht den Konsequenzen entgegenzuwirken, die das imperialistische Wüten der Global Player verursacht, die sich selbst elegant aus der Affäre ziehen, keine Verantwortung zu tragen bereit sind und stattdessen ihre Asylgesetze verschärfen.

Prioritätensetzung

Letztes Jahr erlebte ich mit, wie ein cubanischer Studierender von einem Deutschen gefragt wurde, warum das Unigebäude so heruntergekommen sei. Er entgegnete „Was meinst du, wo ist das Geld besser aufgehoben. In frisch gestrichenen Wänden oder in mehr Büchern?“ Die cubanischen Studierenden hätten alles Recht sich darüber zu beschweren, dass es in den meisten Räumen an der CUJAE nicht mehr in allen Fenstern Glas gibt, dass es gelegentlich reinregnet und das Essen in der Mensa nicht besonders gut schmeckt. Bemerkenswert ist dabei, dass hier eben nicht die Extranjeros für den Mangel verantwortlich gemacht werden, sondern die Wirtschaftsblockade der USA**. Und auch wenn ich in der Jugend bisher nicht den revolutionärsten Teil der Bevölkerung hab finden können, sind beinahe alle einig in dieser einen Frage: die katastrophale Situation Cubas ist nicht politischer Wille der eigenen Regierung, es ist nicht wie in Deutschland das Problem, dass der Staat mehr Geld in die Rüstung steckt, als in Bildung und Gesundheit zusammen. Es ist eine Folge der jahrelangen Unterdrückung des kapitalistischen Nachbars USA, der alles daran setzt, um die kleine sozialistische Insel ausbluten zu lassen, die vor seiner Nase mit aller Kraft für eine bessere Welt kämpft.

Kampftag vs. Feiertag

Was für die einen ein Kampftag ist, ist für die anderen ein Feiertag. Obwohl in den westlichen Medien Cuba unablässig als unterentwickelt, rückständig und bedürftig dargestellt wird, ist das, was wir in Deutschland hart erkämpft haben und uns zum Großteil noch erkämpfen müssen, in Cuba überwiegend schon lange Realität. Der 17. November liefert auf der sozialistischen Insel so allen Grund zum Feiern, in Deutschland wird er wohl noch eine ganze Weile ein Kampftag bleiben.

*Ich verweise an dieser Stelle auf einen Artikel den ich während meines ersten Aufenthaltes auf Cuba im Sommer 2013, während eines Solidaritätsprojektes der SDAJ geschrieben habe, in dem ich detaillierter auf das cubanische Bildungssystem eingehe.
** Wer mehr über die Wirtschaftsblockade wissen will, übe sich noch ein bisschen in Geduld. Tobi arbeitet gerade an einem Artikel dazu.

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