Der wirtschaftliche Faktor der Spezialperiode und der Weg aus der Krise (Teil 3 von 4)

1996 bis heute

Das Schlimmste ist überstanden, die kubanische Wirtschaft scheint sich aus dem Tief der Spezialperiode von 1994 langsam wieder zu erheben. Die Lebensqualität der Kubaner steigt erneut und die Wirtschaftsaktualisierungen versprechen ein langsames, aber sicheres Wirtschaftswachstum, wie 1996 mit sogar knapp 8%, doch die Spezialperiode ist noch nicht überwunden.

Durch die neu erlangte, relative Stabilität der kubanischen Wirtschaft (“stabile Stagnation”), waren weitere Wirtschaftsreformen für den sozialistischen Karibikstaat ab dem Jahre 1996 nicht mehr von unumgänglicher Notwendigkeit, womit die Reformquantität vorerst abnahm.

In diesem Kontext gelang es, die am dringendsten zu lösenden Probleme anzugehen und die Lebensqualität der Bevölkerung aus dem Jammertal der Spezialperiode zu befreien. Die Totalausfälle des Transportwesens schienen langsam zu verschwinden, der Reallohn nahm zu, das neue Investitionsgesetz von 1995 führte zu Deviseneinnahmen in neuen Wirtschaftssektoren, doch der Aufschwung war gemäßigt und bot in dem entsprechenden Rahmen keine ernstzunehmende Perspektive.

Nach einer 10-jährigen Pause der Lizenzvergabe an Privatbetriebe (Cuentapropistas) zwischen 2000 und 2010, die aufgrund der Restabilisation der Wirtschaft erfolgte, wurde die Anzahl der Privatbetriebe von vorher 150.000 auf 500.000 erhöht. Hierbei besteht jedoch weiterhin eine leitende Kontrolle des Staates, in Form einer Rahmensetzung der wirtschaftlichen Tätigkeiten, um die Akkumulation von Kapital zu limitieren und möglichst weit zu verhindern.

Im Jahre 2011 hat die Kommunistische Partei Kubas (PCC) einen umfangreichen Reformplan bis ins Jahr 2016 verabschiedet, mit dem Ziel, einen “nachhaltigen und wohlhabenden Sozialismus zu schaffen und die Folgen der Sonderperiode nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zu überwinden, bei dem der Nationalkongress 2011 mit Raúl Castro Ruz an der Spitze neue Wirtschaftsaktualisierungen mit einer Beteiligung von mehr als sechs Millionen Kubanern beschlossen hat – der Parteitag 2016 beschloss Konstanz dieser Umsetzungen. Diese Aktualisierungen beinhalten vor allem eine Annäherung an ein so genanntes hybrides System zwischen der Planwirtschaft und der Marktwirtschaft unter fortlaufender Kontrolle durch den Staat. Hierbei wurden unter anderem Pläne für die Vereinheitlichung der zwei Währungen, sowie langsame Reformen des Staatssektors beschlossen, durch welche staatliche Betriebe schrittweise anstatt 70% nur noch 50% der Einnahmen an den Staat abgeben müssen, um Investitionen für Maschinen, etc. dynamischer selbst tätigen und die Löhne anheben zu können.

Mit einem nahezu zeitgleich gestarteten Pilotprojekt in den Provinzen Artemisa und Mayabeque wird getestet die Legislative und die Exekutive zu trennen, wobei die Provinzen einen eigenen Haushalt führen und Investitionsentscheidungen selber tätigen können. Durch die Selbstverwaltung ihres Budgets sollen die Provinzen die Probleme in ihrem Bereich nun effizienter selber lösen können, von langer Hand geplante Fehlinvestitionen und bürokratische Hemmnisse sollen durch die Dezentralisierung also nicht nur in Staatsbetrieben, sondern ebenfalls auf Provinzebene überwunden werden. Mit dem 2012 verabschiedeten Kooperativgesetz, ebenfalls als Pilotprojekt, sollen nun nicht nur Kooperativen “frei” gegründet werden können, sondern auch mittelgroße Staatsbetriebe in Kooperativen umgewandelt werden, mit den gleichen Absichten – der effektiveren Mikrosteuerung. Das Motto der neueren Wirtschaftsaktualisierungen im Binnensektor lautet also klar und deutlich Dezentralisation.

Doch nicht nur in der Binnenwirtschaft lassen sich wieder verstärkte Wandel erkennen. Durch das neue Gesetz über Auslandsinvestitionen von 2014 soll die Möglichkeit von 100% ausländischem Besitz, mit Ausnahme von den Wirtschaftssektoren Bildung, Gesundheit und Militär, bestärkt werden, wobei jedoch alle Arbeitskräfte über staatliche Agenturen vermittelt werden. (Bei dem letzten Investitionsgesetz von 1995 gab es zum Vergleich eine obligatorische Staatsquote bei Joint-Ventures von 51%.) Kapital wird hierbei besonders für die Landwirtschaft, die Industrie und die Erneuerung der Infrastruktur gesucht. In diesem Zuge wurden ebenfalls Steuerbegünstigungen, ein transparenterer Rahmen und die Begründung der Sonderwirtschaftszone Mariel mithilfe einer brasilianischen Baufirma beschlossen, um ausländische Investitionen verstärkt anzulocken. Die Investitionsbedingungen in besagter Zone drücken sich konkret durch die schon angesprochene Möglichkeit von 100% ausländischem Besitz, niedrige Import- und Exportzölle, Befreiung von lokalen Abgaben sowie der Lohnsteuer, 14% Sozialabgaben, 12% Gewinnsteuer (mit einer Befreiung in den ersten 10 Jahren), 1% Steuer auf Verkäufe und lokale Dienstleistungen, sowie die Einzahlung von 0,5% des Gewinns an einen Fond zum Erhalt und Ausbau der Zone aus. Mit dem Projekt in Mariel wird einer der leistungsfähigsten Containerports der gesamten Karibik gebaut, in dem die größten Containerschiffe anlegen können, wodurch der Hafen sein volles Potenzial entfalten kann. Die zugehörige Sonderwirtschaftszone soll befreundete Länder und potenzielle Handelspartner zur Eröffnung neuer Betriebe und Fabriken motivieren. Ziel ist laut Pedro San Jorge (Leiter der wirtschaftspolitischen Abteilung beim Ministerium für Außenhandel und Investitionen) durch die Abgaben die “Kapazitäten des Landes zu erhöhen, um Produkte selbst herzustellen die wir derzeit importieren müssen”, in letzter Instanz also durch die Auslandsinvestitionen Kuba weiter zur wirtschaftlichen Autarkie zu führen. Investiert wird dabei nicht nur von befreundeten Ländern wie Venezuela, Brasilien und China, in jüngster Zeit zeigen ebenfalls EU-Länder wie die Niederlande ein verstärktes Interesse. Auch Russland, Weißrussland, Angola und der Iran haben ihre Wirtschaftsbeziehungen mit Kuba in den letzten Jahren gestärkt.

Ein weiteres, immer wieder präsentes Thema ist die Währungsvereinigung des Peso Convertible (CUC) und des Peso Nacional (CUP). Schon in den 90er Jahren, seit Beginn der Dollarisierung war klar, dass die Zweitwährung lediglich temporärer Natur sei, ein notwendiges Übel zur Rettung der Revolution. Nun stellt sich jedoch die Frage, wie eine ausreichende Prosperität des Devisensektors erlangt werden kann, um den Schritt nach vorne wieder ermöglichen zu können. Auf dem VI. Parteitag der PCC, im Jahre 2011 wurde das Ziel zum ersten Mal konkretisiert: “Es wird bis zur Vereinigung der Währung vorangeschritten, wobei die Arbeitsproduktivität und die Effizienz der Verteilungs-, und Umverteilungsmechanismen in Rechnung gestellt werden müssen. Aufgrund seiner Komplexität benötigt dieser Prozess eine strikte Vorbereitung und Durchführung sowohl auf objektiver, als auch auf subjektiver Ebene.” In diesem Zug soll der CUP in seiner Funktion als Zahlungsmittel, buchhalterische Einheit und zur Messung der tatsächlichen ökonomischen Performance, in Verbindung mit anderen Maßnahmen zur Aktualisierung des ökonomischen Modells wieder hergestellt werden. Die damit bevorstehende, schrittweise Abwertung des CUP im Bereich der internen Verrechnungskurse birgt dabei sogar noch weitere positive Effekte. In Verbindung mit der nun größeren Budgetautonomie der Staatsbetriebe werden sowohl ein verstärkter Anreiz zur Steigerung der Exporte (sie verdienen mehr CUP für jeden verdienten CUC) als auch einen Anreiz zur Importsubstitution (Importe werden vergleichsweise teuer im Gegensatz zu inländischen Produkten). Gleichzeitig werden jedoch zusätzliche Fonds zur temporären Unterstützung von Betrieben eingerichtet, bei denen durch die Reformen Verluste zu erwarten sind. Das sozialistische Equilibrium der Wirtschaft des karibischen Inselstaates soll nämlich fortwährend so weit wie möglich aufrechterhalten werden. Die positiven Effekte dieser Maßnahmen liegen auf der Hand: Die Betriebe sind in der Lage höhere CUP-Gehälter zu zahlen, während gleichzeitig der Binnenmarkt und die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Exportsektors gestärkt wird. Zudem ist eine realistischere Befreiung der Produkte möglich, da der interne Verrechnungskurs näher am tatsächlichen Wechselkurs liegt. Letztlich erlaubt die Existenz einer einzigen Währung auch eine effektivere monetäre Makrosteuerung der verschiedenen Eigentumsformen (beispielsweise ein einheitlicheres Steuersystem, weniger Bürokratie) – und der CUP würde potenziell konvertibel werden. Mit welchen Ressourcen die kubanische Regierung einen Anstieg der Löhne ohne Kaufkraftverlust abzufedern gedenkt und eine Inflation verhindern will, ist dabei noch fraglich. Sicher ist jedoch, dass die Subventionen der Konsumgüter des Grundbedarfes, welche in CUP verkauft werden, drastisch reduziert werden müssen, wenn der CUP seine Funktion als Zahlungsmittel zurückerlangen soll – damit einher geht zwangsläufig auch die ohnehin schon angestrebte Abschaffung der Rationierungskarte “Libreta”. – Raúl Castro erklärt dazu, dass in Zukunft Menschen, nicht Produkte subventioniert werden würden. Die Entwicklung neuer Methoden und Indikatoren zur Bedarfsermittlung in der Subventionspolitik stehen dafür bereits in den Startlöchern. Möglich wäre dabei, dass die Subventionspolitik in ein Sozialversicherungssystem münden könnte. Auch hierbei steht der Grundgedanke einen “wohlhabenden und nachhaltigen Sozialismus” aufzubauen im Vordergrund.

In den landwirtschaftlichen Betrieben wird mehr Land und Personal zugelassen, um die Arbeit dort attraktiver zu gestalten, damit Menschen aus dem Verwaltungssektor in die Landwirtschaft gehen und somit die Grundversorgung langanhaltend absichern. Der Verwaltungssektor ist derzeit überbesetzt, von zum Beispiel acht Stunden Arbeitszeit, die bezahlt wird, fällt nur für ca. drei Stunden Arbeit an, da es auf Kuba aber so gut wie keine Arbeitslosigkeit gibt, sollen die überfüllten Stellen auf neue in z.B. der Landwirtschaft verteilt werden. Des weiteren ist viel Geld auf Kuba in privaten und nicht in staatlichen Händen. Um dieses Vermögen für die gesamte Bevölkerung nützlich zu machen wird eben die Landwirtschaft attraktiver angeboten, damit das Geld dort eingesetzt wird. Somit könnten sie sich die teuren Maschinen aus China leisten, um die Produktivität zu steigern.

Auch der Bankensektor ist in den letzten Jahren weiter in den Fokus gelangt. Vor Allem durch ein höheres und leichter zu erlangendes Quantum an Kleinkrediten, z.B. für den Agrarsektor, soll nun eine verstärkte Produktivkraftentwicklung durch eine Modernisierung der Arbeitsmittel im kleinen Privat-, und im Kooperativsektor gefördert werden.

Generelles Motto der taktischen Umsetzung aller Reformen bleibt auf Kuba ganz nach dem Prinzip der subjektiven Dialektik: Zunächst wird in begrenzten Bereichen experimentiert um die Ergebnisse später zu evaluieren und schließlich in optimierter Form auf die gesamte Volkswirtschaft zu erweitern.

Das Bruttoinlandsprodukt steigt stetig, etwa im Jahr 2015 wuchs die Wirtschaft um 4%. Auch die jüngst zu beobachtende Rezession im Jahre 2016 um 0,9% ist kein Indikator für generellen wirtschaftlichen Abschwung. Die Rezession ist in erster Linie auf die Krise in Venezuela zurückzuführen und die mit ihr einbrechenden Öllieferungen. Nicht nur für die nationale Industrie und das Transportwesen benötigt Kuba das venezuelanische Öl. Mit ihren sowjetischen Ölraffinerien können sie venezuelanisches Öl weiterverarbeiten und exportieren. Dies nimmt einen nicht unbeträchtlichen Teil des kubanischen Exportvermögens ein. Hierbei traf den sozialistischen Karibikstaat im Jahre 2016 nicht nur der Rückgang der Öllieferungen von Venezuela, sondern mitunter auch die generell niedrigen Ölpreise. Andere Faktoren wie die schlechte Zuckersaison und die niedrigen Nickelpreise spielen zudem in die Rezession mit hinein. Ein langanhaltendes Schrumpfen des BIP ist lediglich aufgrund der genannten Faktoren jedoch nicht zu erwarten, zumal Großprojekte wie Mariel perspektivisch eine mittel- und langfristige Rendite abwerfen werden und Russland die fehlenden Öllieferungen von Venezuela zu ersetzen beginnt.

Durch die partielle Anerkennung neuer Eigentums- und Verwaltungsformen für eine dezentrale, diversifizierte und effiziente Wirtschaft unter den Prinzipien des Sozialismus und der fortlaufend begleitenden Kontrolle des Staates, hat sich Kuba seinen eigenen Weg zum Sozialismus geschaffen. Einen Weg, der sich aus der Notwendigkeit heraus an das kapitalistische Umland und die neuen Binnenmarkt-Elemente – vor Allem auf dem Tourismus basierend – angepasst hat, es jedoch weiterhin vermag seinem Volk soziale Sicherheit, kostenlose medizinische Versorgung, kostenlose Bildung und noch viele weitere sozialistische Elemente zu gewährleisten.

Dieser Artikel war von Lorenz. Hier geht es zu weiteren Artikel von ihm.

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