Eine Nacht in Varadero oder wie ich Cuba kennen lernen möchte

Seit dem 19.7. haben wir Semesterferien. Der Unicampus ist wie leer gefegt, die Studentenwohnheime haben geschlossen und bis auf uns, den anderen ausländischen Studenten und den Hunden ist niemand dauerhaft auf dem Campus. Auch wenn der leere Unicampus geisterhaft erscheint und die Halbzeit – oder das Ende unserer Zeit hier einleutet, gewöhnt man sich schnell daran – wir haben Ferien oder Vorlesungs freie Zeit. Die ersten Tage wurden voll ausgenutzt, mit lauten Musikboxen sind wir über den Campus gezogen und haben uns an dem Echo der leeren Gänge zwischen den Universitätsgebäuden erfreut.

Eine Freundin hat uns eingeladen hat, sie bei sich zu Hause zu besuchen. Wie viele andere Studenten kommt sie aus einer anderen Provinz des Landes, lebt unter der Woche auf dem Campus und fährt an den Wochenenden meistens nach Hause, nach Matanzas.

Mit einer genauen Wegbeschreibung und gepackten Rucksäcken machen wir uns auf den Weg mit einem der Stadtverkehrsbusse an den Rand der Stadt. Die Fahrt kostet 40 Centavos und nur 20 für Studenten, dass sind weniger als 4 Eurocent pro Fahrt. Haltestellen werden nicht angezeigt und einige von Sonne, Wochenende und Strand übermütiger, beschwipste Mitfahrer erklären uns hilfsbereit wo wir aussteigen müssen. Nach einem kurzem Gespräch steigen sie aus und wir werden, wie bei der Auskunft, an einen anderen Mitfahrer vermittelt der uns rechtzeitig auf unsere Haltestelle hinweist. Wir landen im Nirgendwo und folgen auf gut Glück ein paar Menschen mit Koffern. Ein Bus hält an und alle rennen. Einsteigen, wie gewohnt lässt die Klimaanlage einen beinahe unterkühlen, doch mittlerweile wappne ich mich immer mit einem Pullover wenn es irgendwo in akklimatisierte Räume geht. 20 Peso cubano, etwas weniger als ein Euro müssen wir für die anderthalbstündige Fahrt bezahlen. Derweile werde ich halbstündig angerufen, weil unsere Gastgeberin sich Sorgen macht. 

Man hätte auch einen der Viazul-Busse nehmen können, die die Touristen normalerweise durch das Land transportieren und Reisende ausspucken, die dann wie Wellen den Strand oder die passenden Touristencafés mit den angepassten Preisen (in Cuc) überschwemmen. Wir wollen anders reisen Ohne genaue Wegbeschreibung hätten wir jedoch niemals den Weg den die Cubaner normalerweise nehmen gefunden.

Wir werden abgeholt und kehren als erstes in Copelia (dem staatlichen Eisladen) von Matanzas ein. Dort gibt es einen “Ensalada”, einen Eisteller mit fünf Kugeln, es gibt nur Mangogeschmack. Unsere Gastgeberin trifft einen ihrer alten Lehrer aus der Schule. Er führt stolz sein neugeborenes Kind vor, ein noch ganz schrumpeliges Wesen das an seiner Brust ruht und eine große, rosa Schleife um den Kopf gebunden hat. Wir werden wegen der Zigaretten in unseren Händen gerügt, er mahnt nicht zu viel zu rauchen und zieht dann mit seiner Frau und seiner Tochter weiter.

Unsere Freundin wohnt etwas außerhalb der Stadt und während der Busfahrt zeigt sie links und rechts aus dem Fenster, um uns ihre Grundschule und Mittelschule zu zeigen und wo ihre beste Freundin wohnt. 

Angekommen an einer Kreuzung zweier Landstraßen: Ein kleiner Kiosk an der Ecke, Menschen auf Fahrrädern, Hühner und schwüle Luft. Die Blicke folgen uns als wir die Straße entlang laufen, in diese Gegend verlaufen sich nur selten Touristen, unser offensichtlich europäisches Aussehen plus der Rücksäcke schreit „fremd“. Wir kommen an und werden zunächst der Mutter und Großmutter vorgestellt. Es ist ein Frauen dominierter Haushalt: Die Eltern sind getrennt und der schwerhörige Opa gib nicht viele Wörter von sich und nickt uns nur zu. Die Großmutter ist dafür um so kommunikativer, in ihrem Wohnzimmer haben sich einige Bekannte und Familie versammelt die uns mit neugierigen Blicken begutachten und herzlich begrüßen.

Dann geht es zum Fluss, eine willkommene Abkühlung.

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Als wir nach Hause kommen ist das Essen fertig und jedes Angebot, beim Tischdecken und Essen reintragen zu helfen wird vehement abgelehnt. Es gibt criollische Küche, frisch gepressten Mangosaft und frische Avocados aus dem Garten. In den Unterhaltungen zwischendurch erfahren wir viel über das alltägliche Leben der Familie. Die Mutter unserer Freundin arbeitet in einer Hotelanlage, die den Parteimitgliedern als Urlaubsort dient. Die Oma arbeitet gern im Garten und kann die Namen der einzelnen Pflanzen aufzählen und der Vater unserer Freundin kommt fast täglich vorbei um seine Tochter zu sehen, er nennt sie liebevoll „Mi santa“ –  meine Heilige.

Zwei Tage später fahren wir  nach Varadero, der bekannteste Strand in Matanzas, eine sehr touristische Gegend die in jedem Reiseführer Cubas zu finden ist. Die anderthalbstündige Fahrt kostet 20 Peso Cubano pro Nase. An den vorbeiziehenden Landschaften und Häusern kann man sehen, wie die Gegend sich verändert, vorbei an der Universität von Matanzas entlang der Küste, an steinigen Stränden tummeln sich Menschen unter Sonnenschirmen. Hotelanlagen, klotzige Betonbauten und prunkvollere Gebäude mit mehr Glas und mehr Geld, ein geschickter Bau in dem Wasser vom Meer in ein großes Basin geleitet wird – so muss man nicht einmal mehr zum Strand gehen und kann direkt vor dem Hotel ins Meer. Autobusse und Pizzastände, dann sind wir da

Eine Kleinstadt, hat man den Eindruck. Das Zeichen für zu vermietende Apartments, ein umgedrehter Anker, ist an jedem zweiten Haus zu sehen, Cafés und Restaurants säumen die Straßen. In den letzten Sonnenstrahlen laufen wir den noch vollen Strand entlang, treffen zufällig  Freunde aus der Uni, die sich für ein paar Tage ein Apartment in Varadero gemietet haben. Man verabredet sich für später und verabschiedet sich. Wie wunderbar, wenn diese neue Welt  hier, auf die ich im Februar das erste Mal gestoßen bin, auf einmal doch nicht mehr ganz so groß erscheint. 

Wir quetschen uns auf einen Hochsitz, um uns den Sonnenuntergang anzusehen.784F6112-8461-4B53-8C8F-C3A8439DAF55

Mit den Taschen und der Musikbox sind wir kaum von den anderen Strandbesuchern zu unterscheiden, die den ganzen Tag in der Sonne verbracht haben – weniger der sonnenverbrannten Nasen und Gesichter vielleicht. Unsere Freundin erzählt, dass ein Psychologe herausgefunden hätte, dass es noch deprimierter macht, wenn man traurig ist und dabei das Meer beobachtet, vielleicht wegen der großen Unendlichkeit der man gegenüber steht. 

Wir lachen, tanzen und als uns der Hunger überkommt suchen wir ein Restaurant mit bezahlbaren Preisen wofür wir die Avenida primera , die Hauptstraße, hoch und runter laufen. Cafeterien mit Plastikstühlen die Hamburger und Pizza verkaufen und teure Restaurants liegen nebeneinander. Die meisten haben schon zu- kein Wunder es ist Sonntagabend. So vergeht die Zeit, wir treffen unsere Bekannten wieder suchen einen Vergnügungspark auf der schon geschlossen hat, setzen uns vor eine Bar, um unsere privaten Getränke auszutrinken und die Musik zu hören, gehen irgendwann doch in die Bar, teilen uns auf und finden uns wieder, stehen vor einem Club und entscheiden uns, nicht reinzugehen, dann sind wir wieder am Meer. Auf dem Weg uns wieder etwas zu essen zu beschaffen, treffen wir einen verzweifelten und betrunkenen Kanadier, der sein Portemonait am Strand verloren hat und es um drei Uhr Nachts ohne Licht und ohne Handy wiederfinden will, es ist sein erster Tag auf Cuba. Ein Mann mit Stirnlampe und Metalldetektor hilft uns bei der Suche, wir müssen wie eine Gruppe Verrückter ausgesehen haben. Es hat keinen Sinn, wir führen den verzweifelten Kanadier noch zur Polizei, die den Diebstahl / Verlust aufnimmt und verabschieden uns.

Musik, Essen, Wein, Milchkaffe und Zigaretten in der Nacht und irgendwann der Sonnenaufgang! 

Es ist umwerfend, der Himmel schmückt sich in den sanftesten Pastelltönen und das Wasser ist helltürkis. In dieser Welt dürften in diesem Moment nur Regenbögen und Einhörner existieren, doch es ist Realität und es kommt mir so surreal vor, dieser Moment mit diesen Menschen und wir sind müde und glücklich und beeindruckt und alles zu gleich.

Irgendwann beginnt es, zu regnen und im strömenden Regen laufen wir zur Bushaltestelle, um zurück nach Matanzas zu fahren. Die Sonne trocknet bald die Klamotten, den Rest erledigt der Fahrtwind im Camión. Eine Stunde später sind wir wieder in Matanzas.

Auf dem Weg ins Zentrum der Stadt machen wir einen kurzen Stopp im Museum der Feuerwehr. Wir sind Studenten und dank unseres Carnets müssen wir nur 1 Peso Eintritt zahlen. Neugierig wird nach unserer Nationalität gefragt. Begeistert wird ein Mitarbeiter herbeigerufen, der grummelig zu uns kommt offensichtlich genervt von der Unterbrechung seiner Tätigkeiten ist. Er ist 86 in Deutschland gewesen, sein kritischer Blick löst sich im Laufe des Gespräches schnell auf. 

Es ist seltsam, wir werden durch unseren Carnet selbstverständlich nicht zu KubanerInnen, doch die Welt in der wir uns bewegen liegt nah dran, ist vielleicht eine Grauzone. Zwischen der kubanischen Realität und der Welt der  Touristen, der Viazul-Busse, der angepassten Preise und schicken Restaurants. Wir befinden uns in einer Zwischenwelt. Nur Seite an Seite mit Freunden und Bekannten erlangen wir Einblicke in ihre Welt, in ihre Realität. 

Unsere Freundin war das letze Mal mit ihrer Grundschulklasse in diesem Museum und will uns unbedingt die Folterwerkzeuge zeigen an die sie sich nich erinnern kann – die Feuerwehrstation welche heute das Museum ist, war während des Unabhängigkeitskrieges auf Cuba ein Gefängnis gewesen.

Als wir das Museum verlassen steht die Mittagssonne über uns und es ist brütend heiß. 

Langsam dringt die Geschäftigkeit der Stadt in unsere müde Wahrnehmung ein und ich kann kaum fassen was wir in den letzen Tagen alles mitnehmen konnten. So möchte ich Cuba kennen lernen.

Rosa

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