„Ich gehe dahin, wo ich gebraucht werde!“

Interview mit Oldita,
Krankenschwester und Teilnehmerin einer medizinischen Brigade in Guatemala

Bei der Fiesta CDR am 27.09.2018 lernte ich Sara kennen, die mit ihrem Mann und ihrer Tochter Oldita in La Demajagua auf der Isla de la Juventud lebt. Stolz berichtete sie mir, dass Oldita von 2013 bis 2015 als Krankenschwester an einer medizinischen Brigade in Guatemala teilgenommen habe, und lud mich und Annette zu sich nach Hause ein. Das Angebot nahmen wir gerne an und so verbrachten wir einige Abende mit den beiden Frauen, die sich auch zu einem Interview mit uns bereit erklärten. Olga Lidia de Bardet Portuondo ist 46 Jahre alt und arbeitet im Krankenhaus von Nueva Gerona als Leiterin des Fachbereichs Hygiene. Im Rahmen dieser Tätigkeit ist sie unter anderem dafür zuständig, Menschen über die Übertragungswege von Dengue-Fieber und dem Zika-Virus aufzuklären. Oldita liebt ihren Beruf, das spürt man schon nach wenigen Sätzen. Während sie von Guatemala erzählt, leuchten ihre Augen, so dass ihre Sympathie für das guatemaltekische Volk und ihre Leidenschaft für ihre Arbeit unübersehbar sind.

Oldita, was hat dich dazu bewogen, an einer medizinischen Brigade im Ausland teilzunehmen? Was waren deine Gründe dafür?
Also, darüber habe ich eigentlich gar nicht so wirklich nachgedacht. Alle, die im kubanischen Gesundheitssektor arbeiten, wollen an den internationalen Brigaden teilnehmen! Der Wunsch, zu helfen, wo immer Hilfe benötigt wird, ist für uns etwas sehr Selbstverständliches. Fidel hat uns auf diese Aufgabe vorbereitet. Du weißt ja sicher, dass es auch militärische Brigaden, z.B. in Angola, gab. Sehr bekannt sind ja auch die medizinischen Brigaden in Venezuela. Jede*r Kubaner*in bringt das ein, was er oder sie kann. Ich kann mir eigentlich gar nicht vorstellen, warum ich nicht an einer Brigade hätte teilnehmen wollen.

Was muss man denn tun, um teilzunehmen?
An jeder Einrichtung des Gesundheitswesens liegen Listen aus, in die sich die Mitarbeiter*innen eintragen können. Den Einsatzort kann man sich nicht ausuchen, je nach Ausbildung wird man für ein Projekt eingeteilt. Sobald man sich in die Liste einträgt, muss man sich um alle notwendigen Dokumente kümmern und sich auch auf einen plötzlichen Anruf gefasst machen, dass es gleich am nächsten Tag losgeht, weil jemand anderes ausgefallen ist. Deshalb verabschieden sich viele schon lange bevor es eigentlich losgeht von den entfernter lebenden Verwandten. Ich selbst stand zwei Jahre auf der Liste bis ich endlich den Bescheid bekam, dass es nach Guatemala geht.

Und wie lief eure Arbeit dort ab? Wie war die Brigade organisiert?
Wir kamen am 24.11. in der Hautpstadt an, wurden in einem schönen Hotel untergebracht und lernten erst einmal die Umgebung kennen. Guatemalas Landschaft ist durch Hügel und Berge geprägt, es ist ziemlich kalt dort. Alle haben uns freundlich begrüßt und in Empfang genommen. Zu diesem Zeitpunkt waren schon überall Weihnachtsbäume aufgestellt worden, das kannten wir gar nicht. Ich fand es sehr hübsch. Dann erhielten wir einen Kurs, in dem wir auf unsere künftige Aufgabe, die Durchführung von gynäkologischen Untersuchungen bei schwangeren Frauen, vorbereitet wurden. Unsere Brigade bestand aus insgesamt 100 Kubaner*innen, darunter Krankenpflegende und Ärzt*innen. Wir wurden im Umland der Hauptstadt eingesetzt und arbeiteten mit den guatemaltekischen Kolleg*innen sehr eng zusammen.

Was war das Ziel deiner Brigade?
Das Ziel war, die Sterblichkeitsrate von Mutter und Kind während der Geburt durch eine verbesserte Kontrolle und Diagnostik während der Schwangerschaft zu verringern.1 Die Brigade war diesbezüglich sehr erfolgreich: im Zeitraum unseres Einsatzes kam es zu keinem einzigen Todesfall unter den betreuten Schwangerschaften.

Was genau waren deine Aufgaben als Krankenschwester dort?
Meine Hauptaufgabe war die Durchführung von gynäkologischen Untersuchungen während der Schwangerschaft. Ich kontrollierte, ob es dem Kind und der Mutter gut ging und überwies die Frauen bei Komplikationen in ein Krankenhaus. Eigentlich sollten ich und meine Kolleg*innen auch zu den Frauen in die Dörfer fahren, um den eigentlichen Geburtsvorgang zu überwachen, aber dazu ist es nie gekommen. Den Frauen war die Hilfe ihrer Hebammen, denen sie mehr vertrauten als uns, wichtiger. Das Vertrauen zu uns hat mit der Zeit zugenommen, aber so etwas dauert eben seine Zeit. Über die Schwangerenbetreuung hinaus haben wir Seminare zum Thema Gesundheitsfürsorge angeboten: Ich habe den Menschen z.B. beigebracht, wie man selbst gesunde Säfte herstellt und Heilpflanzen benutzt. Aufgrund des kühlen Klimas sind Erkältungen in Guatemala sehr häufig. Die Menschen dort wussten dort aber nichts über den Einsatz von natürlichen Mitteln, obwohl diese dort wachsen. Ich habe dann gezeigt, dass z.B. Limonen, Salbei und Honig wahre Wunder gegen Erkältungen wirken. Diese Seminare wurden gut angenommen, die Menschen waren sehr interessiert. Auch das Thema Zahnhygiene ist dort eher unbekannt. Deshalb haben wir den Kindern gezeigt, wie man sich die Zähne putzt.

Welchen Eindruck hast du von Guatemala während deiner Zeit dort gewonnen?
Guatemala hat ein kapitalistisches System. Die wirtschaftliche Situation ist meinem Eindruck nach besser als in Kuba, dennoch gibt es viele Menschen, die arm sind.2 Jede Familie besitzt ein eigenes Haus, aber die Armen leben an sehr weit entlegenen Orten. Die Erde ist sehr fruchtbar, es wird viel Landwirtschaft betrieben, sie bauen unter anderem Kaffee und Mais an. Die Menschen sind sehr fleißig, sie stehen morgens extrem früh auf, um zu arbeiten. Die Babys werden zur Arbeit mit auf die Felder genommen. In Kuba dagegen haben wir ja die Möglichkeit, unsere Kinder in einer Krippe betreuen zu lassen, deshalb ist mir das aufgefallen. Häufig war es schwierig, sich zu verständigen. Viele Guatemaltek*innen sprechen kein Spanisch sondern Quiché. Die Männern sprechen manchmal Englisch, weil sie zeitweise in den USA arbeiten. Für die Untersuchungen der Frauen haben wir oft mit Übersetzer*innen arbeiten müssen. Aber das machte nichts, ich hatte den Eindruck, das guatemaltekische Volk hat eine sehr gute Beziehung zu dem kubanischen. Ich mochte die Guatemaltek*innen wirklich gern. Dort wird ganz andere, sehr bunte und traditionelle Kleidung getragen und es werden auch andere Feste gefeiert, das fand ich sehr interessant. Die Kubaner*innen sind insgesamt fröhlicher als die Guatemaltek*innen, würde ich sagen. Sie feiern gern, sind laut und reden viel. Die Guatemaltek*innen habe ich als stiller erlebt, auch ihre Feste laufen ruhiger ab, die Musik ist ganz anders. Aber sie sind sehr gebildet, aufmerksam und hilfsbereit. Wir wurden häufig von unseren guatemaltekischen Freund*innen eingeladen und bekamen die traditionelle Kleidung geschenkt, das war sehr schön.

Was hat dir an Kuba am meisten gefehlt?
Meine Familie hat mir sehr gefehlt, ganz besonders meine Tochter. Da war es wirklich toll, von den anderen Brigadist*innen umgeben zu sein. Wenn es einer*m von uns mal nicht so gut ging, wurde sie*er sofort aufgeheitert oder abgelenkt. Wir sind uns dort sehr nah gekommen, obwohl wir uns ja vorher gar nicht kannten Es haben Menschen aus allen Provinzen Kubas mitgemacht, darunter vier Frauen von der Isla de la Juventud. Sogar eine Compañera aus einem Nachbarort, die ich aber vorher auch nicht kannte. So sind teilweise sehr enge Freundschaften entstanden. Wir haben alle Feiertage gemeinsam begangen und die Nationalhymne gesungen. Das hat uns gut getan.

Welche Unterschiede zwischen Kuba und Guatemala sind dir aufgefallen?
Bei meiner Tätigkeit und den Begegnungen als Krankenschwester habe ich schon so einige Unterschiede bemerkt. Einmal habe ich z.B. eine Frau mit 15 Kindern besucht, eine so hohe Kinderzahl gibt es in Kuba eigentlich kaum. Auch werden die Frauen in Guatemala manchmal schon sehr früh schwanger. In Kuba hingegen gibt es Kampagnen, die junge Menschen aufklären, dass weder Körper noch Psyche einer Jugendlichen auf die Geburt und Elternschaft vorbereitet sind. In Kuba wird dazu geraten, nicht vor dem 20. Lebensjahr schwanger zu werden. Die guatemaltekischen Frauen, die jung schwanger werden, stoßen bei ihren Familien meist auf wenig Verständnis. Sie müssen sich anderswo Unterstützung suchen, manche von ihnen landen auf der Straße. In Kuba dagegen wird die frühe Schwangerschaft kritisch gesehen, die Frauen erhalten aber im Ernstfall Unterstützung von ihren Familien. Manche Kinder in Guatemala gehen nicht zur Schule, sie müssen arbeiten. Das kommt in Kuba gar nicht vor3.

Verstehst du deinen Einsatz in Guatemala als etwas Politisches? Was hat er mit der Revolution zu tun?
Naja, das ist nicht so einfach. Eigentlich denke ich, dass ich dort nur meine Arbeit gemacht habe. Ich habe mich nie in die guatemaltekische Politik eingemischt. Der Einsatz wurde zwischen unseren Präsidenten vereinbart. Jedes Land sollte so sein, wie es will, ob nun sozialistisch oder kapitalistisch. Ich gehe dahin, wo ich gebraucht werde! Aber wenn ich dabei etwas von meinem Land und unserem politischen System vermitteln kann, ist das vielleicht doch wieder etwas Politisches und das finde ich auch gut. Wir sind ja nur wenige, die dort sind, aber wir können schon vermitteln, wie der Sozialismus funktioniert und wir haben natürlich auch erfahren, dass im Kapitalismus vieles anders ist. Dort erhält man medizinische Hilfe nur, wenn man diese bezahlen kann. Der Arzt arbeitet in erster Linie, weil er damit sein Geld verdient.

Was hast du während deiner Zeit als Brigadistin gelernt? Warum war diese Zeit eine wichtige Erfahrung für dich?
Es war sehr spannend, eine ganz andere Kultur kennenzulernen. Besonders deutlich ist das für mich an den Essgewohnheiten geworden. In Kuba lieben wir unsere Früchte und die selbstgemachten Säfte. In Guatemala macht niemand selbst Saft, er wird fertig abgepackt gekauft. Die Bohnen werden dort ganz anders zubereitet als bei uns, zu jeder Mahlzeit wird nur eine ganz kleine Portion Reis gereicht. Außerdem wird kaum Salz benutzt. Die Guatemaltek*innen essen häufig sehr scharf und trinken viel Kaffee, das verursacht bei vielen eine Gastritis. Die Ernährung in Kuba kommt mir viel gesünder vor.
Die wichtigste Erfahrung war für mich aber die extrem hohe Verantwortung, die ich bei meiner Arbeit gespürt habe. In Guatemala habe ich Untersuchungen durchgeführt, die in Kuba nur von Ärzt*innen gemacht werden. Bei Unsicherheiten konnten wir zwar eine Ärztin telefonisch um Rat fragen, aber da schwang schon immer auch Unsicherheit mit. Dennoch glaube ich, dass ich daran gewachsen bin. Wir kubanische Krankenpfleger*innen sind viel besser ausgebildet als diejenigen in Guatemala. In Guatemala ist das Studium sehr teuer, deshalb können sich viele nur eine einfachere und kürzere Ausbildung leisten.

Würdest du wieder an einer medizinischen Brigade im Ausland teilnehmen?
Ja, jederzeit! Guatemala hat mir wirklich sehr gut gefallen, deshalb würde ich gern wieder dorthin reisen. Aber man kann sich bei der medizinischen Brigade den Einsatzort nicht aussuchen, deshalb ist es unwahrscheinlich, dass ich wieder dorthin kommen würde. Dennoch möchte ich wieder an einer Brigade teilnehmen. Ich gehe dahin, wo ich gebraucht werde. Zuletzt habe ich mich für eine Brigade in Trinidad und Tobago beworben. Dort sind gute Englischkenntnisse eine wichtige Voraussetzung. Den Test und das Auswahlgespräch in Havanna habe ich sogar bestanden, aber dann konnte ich nicht mitfahren, weil mir ein wichtiges Dokument fehlte. Bestimmt klappt es dann eben woanders.

Dafür wünschen wir dir viel Glück, Oldita, und bedanken uns für dein Engagement in deinem Beruf und deiner Zeit für dieses Interview!

Derzeit sind 50000 Angehörige des kubanischen Gesundheitssektors im Ausland, um einen solidarischen Beitrag zu leisten und die medizinische Versorgung der Menschen vor Ort zu verbessern. Sie bringen dafür große Opfer, sehen ihre Familien lange Zeit nicht und verdienen mit ihrer Tätigkeit auch kein zusätzliches Geld. Dennoch empfinden sie es als eine Ehre, die Revolution in diesem Sinne zu unterstützen und die Werte des Sozialismus in die Welt zu tragen!

1 Die Müttersterblichkeit in Guatemala ist eine der höchsten in ganz Lateinamerika.

2 Die multidimensionale Armutsrate vergrößerte sich in den letzten Jahren und liegt gemäß einem Bericht der UN-Wirschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (Cepal) von 2015 bei 70 Prozent. Ebenfalls 70 Prozent der Arbeitenden Guatemalas haben keinen festen Job, sondern gehen einer informellen Arbeit nach.

3 Die Schulpflicht in Guatemala beträgt sechs Jahre, in Kuba sind es neun Jahre. Die Einschulungsquote beträgt in Guatemala 89%, in Kuba 100%. Das Fernbleiben vom Unterricht wird in Guatemala nicht verfolgt.

Dies ist ein Artikel von Corinna

Ein Gedanke zu „„Ich gehe dahin, wo ich gebraucht werde!““

  1. Ein sehr gut geführtes Interview, das sehr viel über die kubanische Art zu denken vermittelt, aber das schriftlich verwendete, gendersprachliche Innensternchen* ist furchtbar, sprachverstümmelnd und typisch Deutsch, das gibt es meines Wissens in keiner anderen Sprache. Geschlechtergleichheit kann man nur in der täglichen Praxis erreichen/erkämpfen/umsetzen und nicht durch formelle Schriftspirenzchen!!!
    Solisalu2
    Klaus
    (Spracharbeiter, Übersetzer für Spanisch und Englisch, zweifacher „Veteran“ der Brigade José Martí und seit 36 Jahren mit Kuba engstens verbunden)

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