Wahlen als Beweis für Demokratie & Geschlossenheit Teil 2 – Die Nationalwahlen

Am 11. März hat Kuba gewählt und wir waren live dabei. 605 Kandidat_innen des Nationalparlaments und weitere 1265 Kandidat_innen der Provinzparlamente standen zur Wahl.

85,65% der Kubaner_innen haben ihre Stimme abgegeben und damit alles getan, damit sich am 19. April die Asamblea Nacional del Poder Popular (ANPP, Nationalversammlung der Volksmacht) in seiner 9. Legislaturperiode konstituieren kann.

Wie Lena in ihrem Artikel schon beschrieben hat, ist das Wahlsystem Kubas einzigartig auf der Welt und als Aussenstehende_r auch im ersten Moment schwer nachzuvollziehen. 605 Kandidat_innen für 605 Sitze im Nationalparlament? Da kann doch etwas nicht stimmen. Blickt man jedoch hinter die Kulissen, erkennt man viele Eigenheiten der kubanischen Gesellschaft im politischen System und auch im Wahlprozess wieder und versteht wieso Demokratie nicht gleichzusetzen ist mit der Auseinandersetzung mehrerer Parteien.

Das besondere an dem kubanischen Wahlsystem ist nämlich der Vorschlags- und Austauschprozess der Kandidat_innen. Für die Kommunalparlamente werden die Kandidat_innen direkt vom Volk vorgeschlagen, während 50% der Kandidat_innen für die Provinzparlamente und die Nationalversammlung jeweils von den untergeordneten Parlamenten kommen.
Die anderen 50% werden von den Massenorganisationen ausgewählt, in denen die verschiedenen Bereiche der kubanischen Gesellschaft vertreten sind.
Dazu gehören die Frauenorganisation (Federación de Mujeres Cubanas, FMC), die Studierendenorganisation (Federación de Estudiantes Universitarios, FEU), die Organisation der Bauern und Bäuerinnen (Asociación Nacional de Agricultores Pequeños, ANAP) sowie die Nachbarschaftsorganisationen (Comites de la Defensa de la Revolución, CDR).
In jeder Massenorganisation gibt es ein sogenanntes
Comissiones de Candidatura, dass für die Aufstellung der Kandidat_innen verantwortlich ist.

Dadurch, dass also ein Teil der Kandidat_innen für Provinz- und Nationalparlament von den Kommunalparlamenten und der andere Teil durch die bevölkerungsnahen Massenorganisationen vorgeschlagen wird kommt es dazu, dass bekannte Persönlichkeiten des Landes, vorbildliche Arbeiter_innen, Hausfrauen und -männer, Bauern und Bäuerinnen etc. auch im politischen Spektrum vertreten sind und so gut die verschiedenen Bereiche der Gesellschaft repräsentieren.

Gewählt wird aber direkt vom Volk und zwar alle fünf Jahre.

Präsident, Staats- und Ministerrat (also die eigentliche Regierung) werden dann vom neu gewählten Parlament bestimmt.

Ankunft in der Hochphase der Wahl

Zum Zeitpunkt unserer Ankunft in Kuba und der Isla de la Juventud, war ein großer Teil des Wahlprozesses schon abgeschlossen. Die Kommunalparlamente waren gewählt und die Kandidat_innenkommissionen der Provinzparlamente und des Nationalparlaments hatten aus einer Menge an Vorschlägen diejenigen Kandidat_innen, die zur Wahl stehen sollten, ausgewählt. Und obwohl wir kurz vor dem Höhepunkt des gesamten Prozesses, der Wahl selbst, ankamen, erkannten wir nur mit einem geschulten Auge die Zeichen, dass Kuba sich gerade in dieser Phase befand. Anders als in Deutschland, wo die Wahlwerbung einen förmlich erschlägt und die Parteien sich einen Wettstreit darin liefern, wer die lächerlichsten Wahlplakate in die Welt setzen kann (eindeutig die FDP mit unserem Topmodel Christian Lindner), werden hier in Kuba einzig und allein weiße A4 Zettel mit den Biografien der Kandidat_innen ausgehängt.

Im Falle der Isla de la Juventud beschreiben diese Arelys Casanola Quintaña, Yuladis García Segura, Yailín Orta Rivera und Ernesto Reinoso Piñera. Dies sind alles Kandidat_innen für das Nationalparlement. Kandidat_innen für das Provinzparlament sucht man hier vergeblich, da eine Besonderheit der Isla de la Juventud ist, dass es hier kein Provinzparlement gibt, sondern die kleine Insel im Süden Kubas in bestimmten Fragen direkt dem Nationalparlament unterstellt ist. Deswegen gibt es auch hier am Wahltag nicht zwei, sondern nur einen Zettel auszufüllen.

Die Kandidat_innen der Isla

Die Kandidat_innen der Isla
Die Kandidat_innen der Isla

Arelys (49) ist Präsidentin des Kommunalparlaments der Isla und wurde bereits 2010 ins Kommunal- und 2012 ins Nationalparlament gewählt. Sie ist ausgebildete Lehrerin und hat einen Mastertitel in Management.

Yuladis (41) ist Generalsekräterin der kommunalen FMC und kommt aus Granma. Sie ist ausgebildete Grundschullehrerin und hat einen Mastertitel in Erziehungswissenschaften.

Yailín (34) kommt aus Villa Clara und ist graduierte Journalistin der Universität von Havanna. Ihre berufliche Laufbahn begann 2006 bei der Jugendzeitung Juventud Rebelde und sie wurde nach durchschreiten mehrerer Karrierestufen im Dezember 2017 zur Direktorin der Granma, der wichtigsten Zeitung Kubas, befördert.

Ernesto (52) ist erster Sekräter des kommunalen Komitees der PCC (Partido Comunista de Cuba, Kommunistische Partei Kubas). Er ist ausgebildeter Grundschullehrer und hat in verschiedenen Schulen unterrichtet. Seit 1991 ist er Parteimitglied und seit 1996 auch dort professionell beschäftigt, anfangs als Ausbilder im Gesundheitssektor und später als Funktionär. Er wurde bereits 2012 ins Nationalparlement gewählt.

Da so ein A4 Zettel aber natürlich nicht ausreicht um die Kandidat_innen vorzustellen, gibt es mehrere Veranstaltungen an denen diese sich persönlich mit der Bevölkerung auseinandersetzen. An einer dieser Veranstaltungen konnten auch wir teilnehmen, zwei Wochen vor der Wahl waren Arelys, Yailín und Ernesto an unsere Universität im kleinen Dorf La Demajagua gekommen, um sich den Fragen der Bevölkerung zu stellen.

Wenn man genau hinhörte, konnte man dabei viele Aspekte des momentanen gesellschaftlichen und politischen Diskurses wiederfinden.

Von Yailín wurde betont, dass der materielle Wohlstand einer Gesellschaft nicht so wichtig sei wie ihr Geist. Im Gegensatz zum Ausland, wo Zeitungsdirektor_innen und Politiker_innen ein Vielfaches des Gehalts von Lehrkräften verdienen würden, zeichne es Kuba aus, dass hier das Bildungs- und Gesundheitssystem einen grossen Stellenwert besitzen und dass auch sie selbst nicht wichtiger sei als eine Lehrerin. Sie beschwört das Durchhaltevermögen der Kubaner und sagt es bräuche Disziplin und Geschlossenheit, damit Kuba im globalen Wandel nicht zurückfalle.

Arelys ging auf die Nähe zum Volk ein und legte dar, dass alle politischen Entscheidungen mit diesem abgesprochen werden. Egal ob die Arbeitsgesetze, die 2014 verabschiedet wurden, oder die Lineamientos, die den Entwicklungsplan bis 2030 beinhalten, alles sei durch einen Konsensprozess, der die gesamte kubanische Bevölkerung einschliesst, legitimiert.

Da auch zahlreiche Schüler anwesend waren, die zum ersten Mal wählen durften, wurde von der Moderatorin der Veranstaltung nochmals die Formalitäten der Wahl erklärt. Sie warb dafür, dass es wichtig sei am Wahltag wählen zu gehen und dass der „Voto Unido“, also die Zustimmung zu allen Kandidaten, die beste Möglichkeit sei, um die Geschlossenheit der kubanischen Bevölkerung zum Ausdruck zu bringen.

Der Wahltag

Zwei Wochen später fanden dann die eigentlichen Wahlen statt. Viel zu früh zogen wir also aus dem Studentenwohnheim los in Richtung der Grundschule von La Demajagua. Dort wollten wir uns mit unserer Spanisch-Lehrerin treffen. Außerdem waren wir zu dem Zeitpunkt noch davon ausgegangen, dass dort das einzige, oder zumindest eines der wenigen Wahllokale des Ortes sei. Wie wir später dann aber feststellten, lagen alleine auf dem Weg dorthin drei weitere kleine Wahlbüros, was uns dann aufgrund der Größe des Dorfes doch überraschte.

Vor der Schule angekommen fanden wir schon ein paar Kubaner_Innen vor, die sich um den Eingang des Wahllokales drängten.
Unsere Lehrerin suchten wir dort vergebens, weil wir zum falschen Wahllokal gegangen waren, aber die Direktorin der Schule nahm sich unser an und erklärte uns nochmal freundlich den Ablauf der Wahlen und lud uns ein am Ende der Stimmauszählung beizuwohnen.
So richtig los ging es aber irgendwie immer noch nicht, wie wir dann bald mitbekamen fehlte noch einer der Pioneros.

Kurz darauf erschien auch besagter, fehlender Junge in Schuluniform und drängte sich durch das wartende Grüppchen, die ihn mit Aplaus empfingen. Nachdem dann beide Pioneros, ein Junge und ein Mädchen, Stellung bezogen hatten wurde gemeinsam die kubanische Nationalhymne angestimmt, die Wahlurne den Anwesenden präsentiert und versiegelt.

Nun konnte die Wahl beginnen und wir starteten einen kleinen Rundgang zu den anderen Wahllokalen des Dorfes. Wie wir dabei feststellen konnten gab es keine Ausnahme, was die Anwesenheit der Pioneros und den Aufbau des Wahllokales mit Urne, Wahlkabine und kubanischer Flagge anging. Außerdem hingen vor jedem Eingang die bereits erwähnten Biografien der Kandidierenden für das Nationalparlament.
Lediglich der Aufbau der Wahlkabine unterschied sich. Mal handelte es sich um eine große Papp-Box, mal um ein Bettlaken und mal um eine Stellwand, die jeweils immer einen Tisch vom Rest des Raumes abtrennte, und hinter denen ein Musterbogen des Wahlzettels aufgehängt war, wie wir sehen konnten, da wir häuftig von den Wahlhelfer_innen hineingebeten und dazu aufgefordert wurden uns überall im Raum umzusehen.

Am Nachmittag trafen wir uns dann (diesmal erfolgreich) mit unserer Spanisch-Professorin an dem für ihren Wohnblock zuständigen Wahllokal. Vor dem Eingang waren selbst gebastelte Papiergirlanden aufgehängt und ein eine Gruppe Kubaner_innen stand oder saßen dort herum und unterhielten sich über die Wahlen und dieses und jenes.

Musterwahlzettel der Isla
Musterwahlzettel der Isla

Als es dann zur Stimmauszählung kam drängten sich alle Anwesenden in das kleine Büro. Unser erster Reflex war es den anderen den Vortritt zu lassen und draußen zu warten, schließlich ging es ja um ihre Wahlen, aber sofort wurden wir aufgefordert mit zuzusehen und irgendwie fanden dann doch alle um die Tische der Wahlhelfer Platz.

Während der Auszählung wurden zuerst alle ungültigen und alle leeren Wahlzettel erfasst. Danach wurden die Wahlzettel, auf denen ein Kreuz für alle vier Kandidat_innen gemacht worden war von denen getrennt, auf denen nur einzelne Kandidat_innen eine Stimme bekommen hatten.
Der Stapel der Wahlzettel, auf denen alle Kandidat_innen eine Zustimmung erhalten hatten war klar der größte, die anderen machten eher die Minderheit aus.
Als das Wahlergebnis dann nach einiger Zeit verkündet worden war wurde aplaudiert und alle Anwesenden, inklusive uns, unterschrieben bei den Wahlhelfer_innen, dass sie Zeug_innen der Auszählung gewesen waren.
Nach einiger Zeit verlief sich dann die Gruppe um das Wahllokal und nach unserer Verabschiedung von unserer Spanisch-Professorin endete auch für uns unser erster Wahltag in Kuba.

Das Wahlergebnis

Insgesammt erhielten die vier Kandidat_innen auf der Isla jeweils zwischen 83% und 87% Zustimmung von den Wähler_innen. 79% der gültigen Stimmen fielen dabei auf das Voto Unido, heißt für alle Kandidat_innen. Insbesondere diese Wahloption darf nicht nur als Zustimmung zu den einzelnen Persönlichkeiten gewertet werden. Sie ist die abschliessende Legitimierung des gesamten Wahlprozesses und gleichzeitig eine Bejahung des aktuell herrschenden politischen Systems. Wählen wird hier als ein immens wichtiger Bestandteil des politischen Prozesses angesehen und jeder wird ermutigt zu wählen. Entgegen der Behauptung verschiedener westlicher Medien wird jedoch niemand gezwungen irgendetwas bestimmtes zu wählen oder überhaupt wählen zu gehen.

Wir haben das Wahlergebnis für den Ausdruck der starken Geschlossenheit des kubanischen Volkes wahrgenommen. Auch wenn es hier wirtschaftliche Probleme gibt und die Menschen bestimmte Veränderung fordern, sind die Leute überzeugt davon, dass diese Veränderungen nicht die Grundsätze des politischen Systems als solche in Frage stellen.

Wahlergebnis Kuba
Wahlergebnis Kuba
Quelle: cubadebate.cu

Anders als in Deutschland wo die Wahl zu einer Wahl des geringeren Übels degradiert und die Möglichkeiten der eigenen Beteiligung an politischen Entscheidungen sich eben nur auf diese Stimmabgabe beschränkt, ist hier klar, dass die Wahl nur ein Gradmesser ist und die eigentliche politische Partizipation der Bevölkerung an anderen Momenten konstant gefordert ist und immer ermöglicht wird. Demokratie kann eben nicht mit der blossen Quantität an Auswahlmöglichkeiten gleichgesetzt werden, sondern ist dadurch charakterisiert, in welchem Maß die eigene Meinung Gehör finden und zu Entscheidungen beitragen kann. Wir hoffen in unserem weiteren Aufenthalt hier in Kuba einen besseren Einblick in die Möglichkeiten der politischen Partizipation zu erlangen und mit euch teilen zu können.

Dieser Artikel ist von Jurek und Mateo.

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