Wahlen als Beweis für Demokratie und Geschlossenheit Teil 1 – Die Kommunalwahlen

„Das Wahlsystem Kubas ist einzigartig auf der Welt“

Diesen Satz hörten wir am vergangen Sonntag (26. November 2017) immer wieder von verschiedenen stolzen Wahlhelferinnen und -helfern, die sich hier in Kuba alle freiwillig melden. Von verschiedenen Ecken wurde immer wieder betont, welch ein Glück wir haben, in der Zeit von September 2017 bis April 2018 in Kuba zu sein – die Zeit, in der die „großen“ Wahlen abgehalten werden.

„Groß“, da es im April 2018 zur Wahl des neuen Regierungschefs kommt. In seiner Abschlussrede zur 10. ordentlichen Sitzung der Nationalversammlung des Poder Popular (Volksmacht) versicherte der 86-jährige Raúl Castro, dass Kuba im April 2018 einen neuen Präsidenten haben würde. Ein neues Gesetz beschränkt die maximale Amtszeit des Regierungschefs auf zwei Amtsperioden, sodass Raúl Castro nach 10 Jahren Amtszeit seinen Posten abgeben wird. Der der Welt wohlbekannte Fidel Castro hielt besagtes Amt 49 Jahre lang inne. Diese sehr lange Amtszeit und die Tatsache, dass Raúl als Bruder zum Nachfolger auserkoren wurde, wirft bei vielen immer wieder Fragezeichen auf.

Auserkoren oder gewählt?

Kritiker_innen stellen die Demokratie Kubas immer wieder in Frage. Der Slogan für die Wahlen („Las Elecciones como Genuina Demostración de Democracia“ – Wahlen als Beweis für Demokratie) sowie mein Bericht, über das in Berührungkommen mit dem Wahlsystem Kubas sollen diese Frage beantworten und die Kritik aus dem Weg räumen.

In diesem Artikel beziehe ich mich auf die Kommunalwahlen, welche im November 2017 abgehalten wurden. In einem Folgebericht geht es um die Provinzial- und Nationalwahlen vom März 2018. Der grundlegenden Unterschiede zwischen Kommunal- und Provinzial-/Nationalwahlen sind die Auswahl sowie die Anzahl der Kandidat_innen, die zur Wahl stehen. Wo bei der Kommunalwahl ein elaborater Auswahlprozess alle Wahlberechtigten in Nachbarschaftstreffen Kandidat_innen auswählen lässt, zwischen denen später die parlamentarischen Vertreter_innen der Kommunen ausgewählt werden, geht es bei der Provinzial-/Nationalwahlen vielmehr um eine Bestätigung der zu wählenden Kandidat_innen (mehr dazu im Folgebericht).

Zu Beginn ist es wichtig zu wissen, dass das Wahlsystem aus vier Stufen besteht. Die Basis bildet das Volk, die Wählerinnen und Wähler. In Kuba sind alle, die das 16. Lebensjahr erreicht haben wahlberechtigt. Das Wahlrecht wird nur Menschen im Strafvollzug sowie den im Exil lebenden Kubaner_innen entzogen. Die nächste Stufe ist die Kommunalebene. In Kuba gibt es 169 Kommunen (Municipios), sodass bei den Wahlen im November 2017 169 Kommunalparlamente gewählt wurden. Die nächste Stufe machen die Provinzen aus. Alle fünf Jahre werden 15 Provinzialparlamente gewählt. Das oberste legislative Organ ist das Nationalparlament, welches aus ca. 620 Abgeordneten besteht. Alle diese Abgeordneten sind keine Berufspolitiker_innen, sondern führen weiter ihre erlernten Berufe aus und werden nicht durch hohe Löhne zu ihren Posten gelockt. Das Nationalparlament tagt dementsprechend nur zweimal jährlich. Die eigentliche Regierung, also die Exekutive, machen der Staatsrat (34 Mitglieder_innen) und der Ministerrat (31 Mitglieder_innen) sowie der Präsident aus. Das Nationalparlament wählt diese exekutiven Organe alle 5 Jahre.

Beginn des aktuellen Wahlturnus

Im September 2017 hat der Prozess für den aktuellen Wahlturnus begonnen, der im April 2018 mit der Wahl des neuen Präsidenten enden wird. Der erste Schritt hierzu war, dass im September und Oktober in den kleinsten Organisationseinheiten der Nachbarschaften, den Circunscripciones, in öffentlichen Versammlungen Kandidat_innen für die Kommunalparlamente vorgeschlagen und ausgewählt wurden. Während dieser Zeit waren überall in den Straßen Havannas an Hauseingängen Zettel zu sehen, die zu diesen Versammlungen einluden. In einer Circunscripción sind je nach Wohlort (Stadt oder Land) einige hundert Nachbar_innen (in der Stadt zumeist ein Wohnblock) vertreten. Jede Circunscripción kann zwischen zwei und acht Kandidat_innen aufstellen, die dann zur Wahl für das Kommunalparlament stehen. Alle, die 16 Jahre oder älter sind, können als Kandidat_innen vorgeschlagen werden. In den Treffen der Nachbar_innen bringen die Leute ihre Argumente für den Vorschlag von Kandidat_in A oder B vor, es wird diskutiert und abschließend per Handzeichen gewählt.

Als mir von diesem Prozess erzählt wurde, dachte ich mir nicht allzu viel dabei. Eine Art zu Wählen eben. Doch als ich am Sonntag, den 26. November 2017 durch die Wahllokale streifte, mich mit verschiedensten Leuten unterhielt, wurde mir immer mehr klar, dass die Wahlen, die ich aus Deutschland kenne keineswegs etwas so persönliches und direktes haben, wie das was hier passiert. Die Menschen, die am Wahlsonntag zur Auswahl standen, waren einfach Nachbar_innen aus den jeweiligen Vierteln.

In Kuba gibt es keine Wahlwerbung

Obwohl hier im Radio und Fernsehen immer wieder von den Wahlen gesprochen wird, sind die Anzeichen für den Wahlkampf ganz anders als in Deutschland. In Kuba ist Wahlwerbung verboten – die in den Nachbarschaftskreisen ausgewählten Kandidat_innen werden mit einem kleinen Foto und einer Beschreibung der biographisch wichtigen Stationen der Person vorgestellt. Es sind keine großen bunten Wahlplakate, schlaue Slogans und teuer aufgesetzte Portraits von Politiker_innen in den Straßen zu sehen, sondern in den Straßen hängen A4-große Beschreibungen der Kandidat_innen. Keiner der Lebensläufe von mal Älteren, mal Jüngeren, mal Parteimitgliedern, mal Studierenden, mal einfachen Arbeiter_innen hatte die Möglichkeit, durch besondere äußere Merkmale aufzufallen. Allein der Inhalt konnte mehr oder weniger überzeugend sein. Doch das eigentlich beeindruckende für mich war, dass die Menschen sich untereinander kannten. Es wurde also nicht eine unbekannte Person mit mehr oder weniger leeren Wahlversprechen der Partei XY gewählt, sondern ein_e Nachbar_in, der_die im Viertel sowieso durch Engagement bekannt ist.

Beispiel für DIN-A4 große Kandidat_innenbiografien

Kritik, die von westlichen Medien oft angebracht wird, ist, dass die Kandidat_innen kein Programm vorlegen – eben, dass es keine Wahlversprechen gibt. Diese Kritik ist kurz gedacht, denn die Organisation vom politischen Leben ist in Kuba von Grund auf so anders, dass es bei den Wahlen nicht um unterschiedliche Programme von Politiker_innen von verschieden Parteien geht. Was politisch in die Tat umgesetzt wird, hängt nicht davon ab, welche Politiker_innen im Parlament sitzen. Die Partizipation findet auf einem ganz anderen Level statt: Das politische Programm wird durch die sogenannten Lineamentos und Arbeitsgesetze festgelegt. Diese werden von der PCC (Kommunistische Partei Kubas) ausgearbeitet und werden in mehreren Revisionsdurchgängen vom gesamten Volk überarbeitet und angepasst. In den Nachbarschaftsorganisationen (CDRs) sowie allen anderen Massenorganisationen, an der Uni und in den Betrieben wird sich zusammengefunden und in Arbeitskreisen an Änderungs- und Neuvorschlägen für das politische Programm gearbeitet. Die Aufgabe der gewählten Kandidat_innen besteht darin, das vom Volk überarbeitete politische Programm umzusetzen.

Ein Wahlsonntag in Havanna

Um mir das ganze Prozedere anzuschauen, stand ich am Sonntag zu einer nicht Wochenend-typischen Uhrzeit auf und machte mich noch halb verschlafen im Morgengrauen auf den Weg zum nächsten Wahllokal. Wahllokale sind hier, wie bei uns, in Schulen oder anderen öffentlichen Gebäuden. Weiter als zwei Blocks hat es hier in der Stadt niemand zum Wahllokal. Im Wahllokal meines Vertrauens waren um kurz vor 7 Uhr bereits vier Wahlhelfer_innen, vier wartende Wähler_innen und Ich. Anfangs etwas schüchtern tastete ich mich an das Geschehen heran. Draußen hingen drei Biographien – es standen also drei Kandidat_innen zur Auswahl. Daneben hing eine Liste mit allen in dieser Circunscripción Wahlberechtigten sowie ein exemplarischer Stimmzettel. Jede wahlberechtigte Person hat eine Stimme. Wird kein Kreuzchen oder mehr als eins gemacht, wird der Stimmzettel als Enthaltung gezählt.

Ein Blick ins Wahllokal verriet, dass der räumliche Aufbau eigentlich sehr ähnlich war, wie wir das aus Deutschland kennen: Tische, an denen die Wahlhelfer_innen Platz hatten und bei Ankunft der Wähler_innen anhand des vorgezeigten Ausweises und einer Liste der Walberechtigten abtrugen, wer schon gewählt hatte, eine Wahlkabine, eine Wahlurne. Die Wahlkabine war eine durch ein geblümtes Bettlaken abgetrennte Ecke des Raumes. Die Wahlurne wurde kurz nach meiner Ankunft unter dem Beisein von noch anderen Zeug_innen versiegelt.

Um 7 Uhr sollte es eigentlich losgehen. Unruhig lief einer der Wahlhelfer_innen auf und ab und erklärte, dass der Prozess noch nicht beginnen konnte, da die Pioneros fehlen. Hier eine weitere Besonderheit des kubanischen Wahlprozesses: die Wahlurnen werden von Kindern der Primär- und Sekundärstufe (sogenannte Pioneros) bewacht. Als „unschuldigen“ und gewissenhaften Gesellschaftsmitgliedern wird ihnen die Aufgabe zugeteilt, den Einwurf jedes Stimmzettels mit „Voto“ („Gewählt“) abzusegnen.

Zwei Pioneros, die die Wahlurne beaufsichtigen
(Quelle: Guayacan)

Um kurz nach 7 Uhr kam ein Junge in Schuluniform den Block runtergerannt. Bei seinem Eintreffen stellten sich alle Anwesenden mit Blick auf die Urne auf und die Hymne wurde angestimmt. Inzwischen hatten sich noch weitere Nachbar_innen gesammelt und verschwanden eine_r nach dem_der anderen hinter dem bunten Tuch.

Und da ich nun sowieso schon wach war, beschloss ich den Vedado, meinen Stadtteil, weiter abzulaufen und hatte die Möglichkeit in viele Wahllokale reinzuschauen. Zumeist wurde mein neugieriges Stehenbleiben und Lesen der Kandidat_innenbiographien mit einem freundlichen Willkommensgruß oder der Nachfrage, ob ich auch wählen wolle, begegnet. Es ergaben sich interessante Bekanntschaften. Immer wieder wurde ich hineingebeten, der Prozess des Wählens wurde mir immer wieder erklärt. Für mich klang oft ein Stolz dabei durch. Auch das kenne ich von meinen Wahlausflügen in Deutschland nicht. Die Stimmung im deutschen Wahllokal habe ich bisher eher als bedrückend wahrgenommen. Mit dem Gefühl dort etwas von meinem Leben entrücktes zu tun, war ich froh, wenn ich schnell wieder von diesem Ort weg gehen konnte. In Havanna hatte ich einen ganz anderen Eindruck. Oft standen die freiwilligen Helfer_innen auf der Straße und unterhielten sich mit Passant_innen. Es wurde sich mit eingekauftem Brot oder der aktuellen Zeitung in der Hand darüber ausgetauscht, wer schon gewählt hatte und die Smalltalk-typische Frage gestellt, wie es denn den Kindern ginge.

Um 18 Uhr endete der aktive Wahlteil des Tages und es sollte zur Auszählung der Stimmen kommen. Pünktlich um 17.55 Uhr liefen wir mit einem Nachbarn zum Wahllokal um die Ecke. Nach kurzem Gemurmel wurde verkündet, dass die Wahllokale heute eine Stunde länger geöffnet sein würden, da es in Teilen Kubas stark geregnet hatte und viele deshalb nicht zu den Wahllokalen gekommen waren. Unser Nachbar erkundigte sich, wer in unserem Bezirk noch fehle und lud uns zu sich nach Hause ein. Nachdem er uns mit einem Mojito in der Hand auf sein Sofa verfrachtet hatte, tätigte er einige Anrufe, um bei den Nachbar_innen, die noch nicht gewählt hatten nachzufragen, was los sei. Diese nachbarschaftliche Fürsorge (und Kontrolle?) machte mir noch einmal deutlich, wie viel persönlicher der Prozess des Wählens hier abläuft: Zum einen kennt man sich in der Nachbarschaft – man weiß wer wählen war. Zum anderen wählt man bekannte Gesichter aus der Nachbarschaft – das Wählen ist auch ein Zeichen des Respekts. Das Nicht-Wählen wird wie die Verletzung einer bürgerlichen Pflicht wahrgenommen. Bei den Kommunalwahlen kam es zu einer Wahlbeteiligung von 89,02%.

Beim letztendlichen Auszählen der Stimmen waren viele Nachbarinnen und Nachbarn anwesend, die sich die öffentliche Auszählung anschauten. Ein erster Applaus fiel, als die Zahl der Stimmzettel mit der Zahl abgestrichenen Wähler_innen übereinstimmte. Uns wurde erklärt, dass ein_e Kandidat_in nur mit mehr als 50% der Stimmen gewählt sei. Wenn keine_e der aufgestellten Kandidat_innen die 50% überschritten, würde eine Stichwahl zwischen den zwei Gewinner_innen stattfinden.

Die Wahlen wurden in allen Kommunen für gültig erklärt und am 17. Dezember 2017 konstituierten sich die 169 Kommunalparlamente.

Dieser Artikel ist von Lena, hier geht es zu weiteren Artikeln von ihr.

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