Hintergrundlärm – Alltagsleben in einem kubanischen Wohnblock

Vom Balkon aus

Ich sitze auf meinem Balkon, im zweiten Stockwerk eines fünf Etagen hohen Wohnblocks. Ich blicke, wenn ich gerade ausschaue, auf die graue Wand eines identischen Wohnhauses. Neben den zwei Blocks, die senkrecht aufeinandertreffen, befindet sich eine kleine, dazugehörige Grünfläche, die von den Häusern umrahmt wird. Dort unten laufen Hunde frei herum, die Haushunde unterscheiden sich deutlich von den Straßenhunden mit ihrem glänzenden Fell und runden Bäuchen. Die Hunde machen sich ein Spaß daraus die vielen Hennen mit ihren Küken, die ihnen auf Schritt und Tritt folgen, zu jagen. Ein halbes Dutzend Hähne stolziert herum, einer lauter als der andere. Eine Frau kippt den restlichen Reis vom Mittagessen auf eine Schale für die Tiere, damit ihr Mann sie später im Hinterhof in einem selbstgebastelten Käfig auf Draht und Wellblech fangen und schlachten kann. Unter einem großen Baum spiele die Kinder aus den Wohnhäusern lautstark fangen. Daneben diskutieren ihre Väter neben einem geparkten Lada genauso laut, wie man ihn am besten repariert, während einer von ihnen unter dem Auto liegt und auf Anweisung wartet.

Von meiner Bank auf dem Balkon aus, kann ich zwar auf den Park sehen, aber nicht was auf den anderen Balkonen passiert. Dafür höre ich umso mehr. Als ständigen Begleiter habe ich Tag wie nachts Reggeaton. Am Wochenende vor allem wird schon früh die Musik in irgendeiner Wohnung aufgedreht, und sie bleibt aufgedreht bis zum Abend. Es hört sich fast so an, als hätte man die Lautsprecher direkt in mein Wohnzimmer gestellt. Genauso hört man die ganze Zeit die Hähne, die um die Wette krähen. Durch die dünnen Wände und offenen Balkontüre hört man was in den anderen Wohnungen passiert, wer gerade diskutiert, wer streitet. Über mir höhere ich irgendwo Kinder durch die Wohnung rennen, ein Baby schreien. Genau über mir schieben die Nachbarn gerade entweder seit einer halben Stunde ihr Bett hin und her oder machen Bettsport zum Aufstehen. Dass die Wände dünn sind scheint sie nicht zu interessieren.

Knoblauch, Zwiebeln, Schuhreparaturen

Über mir ruft eine Frau ihre Nachbarin über 3 Stockwerke und 5 Balkone hinweg: „Ibis! Ibis! Ibis!“ Das geht eine Weile so, die Frau wird weder heiser, noch verliert sie die Lust mit Ibis zu reden. Nach einiger Zeit kommt es genauso laut zurück: „Qué?!“ (Was?!) Ibis und ihre Freundin unterhalten sich auf dem typisch gesungenen Spanisch der Kubaner für 20 Minuten über den kompletten Block hinweg über ihre Kinder, Gott und die Welt.

Ihr Gespräch wird unterbrochen von einem Verkäufer: Schon drei Straßen weiter hört man ihn mit lauter, durchdringender Stimme ankündigen was er verkauft. Zehn Minuten später stehen er auf der Grünfläche vor dem Wohnblock. Er verkauft Knoblauch und Zwiebeln aus einer Schubkarre heraus.

Solche VerkäuferInnen kommen mehrmals täglich vor den Block, auf Fahrrädern oder Schubkarren schieben sie Töpfe voll mit heißen Tamales, Säcke voll mit Gemüse, oder Kisten voll mit Keksen durch die Straßen. Manche bieten auch Dienstleistungen, wie Schuhreparaturen an.

Einige von ihnen haben ihre „Marktschreier-technik“ revolutioniert: Sie haben ihre Stimme auf Band aufgenommen und eine meist nervtötende Melodie á la „Happy Birthday“ drunter gelegt. Das Ganze lassen sie dann über Lautsprecher laufen, während sie ihr Stimme schonen und durch das Viertel ziehen.

Die Deutschen im Block

Als einzigen Ausländer im Block kennt uns natürlich jeder. Einige Nachbarn grüßen uns nach einem Gespräch schon mit Küsschen und Umarmung, als ob wir uns schon ewig kennen würden. Als es mal wieder kein Wasser gab, kam mir eine mir unbekannte Frau zwei Straßen bevor ich zu Hause war schon entgegen, und warnte mich, dass das Wasser wegen Reparaturen bis abends abgestellt wurde. Uns scheint jeder zu kennen, auch Leute die wird nicht kennen. Nur der Nachbarhund, ein Schäferhund, im Erdgeschoss, der den ganzen Tag aus der Terrasse sitzt, bellt uns jedes Mal an als wären wir zum ersten Mal da. Seine Besitzerin, die meistens in einem Schaukelstuhl hinter ihm sitzt, redet auf ihn ein, meint es solle es lassen, er kenne die Deutschen doch.

Freunde, Familie, Nachbarn

Hier im Wohnblock ist es normal, dass man sich untereinander kennt. Als wir eines Abends mit einem kubanischen Freund bei uns waren, und erwähnten, dass wir immer noch nicht wussten, wo die Bäckerei sei (weil wir auch nicht die größten Fans vom kubanischen Weißbrot sind und uns um ehrlich zu sein nie auf die Suche gemacht haben) schaute er uns verstört an, warum wir denn nicht schon längst die Nachbarn gefragt hätten. Hier ist es normal wegen jeder Angelegenheit bei der Haustür nebenan zu klingeln, egal, ob man sich was borgen oder wegen etwas erkundigen möchte.

Im Gegensatz zu Deutschland, wo zu Hause als etwas gilt, wo man nach der Arbeit nach Hause kommt um endlich seine Ruhe zu haben, als etwas isoliertes und privates, wo man nur unter seiner Familie bleibt ist es hier ein sehr gesellschaftlicher Ort. Es ist normal, die Wohnung für die Nachbarn offen zu lassen und sich dann über das Treppenhaus hinweg zu unterhalten und zu besuchen. Wenn ich darüber nachdenke und es mit der Lage hier vergleiche, merke ich erst wie wenig Kontakt ich in Deutschland zu meinen Nachbarn hab. Der obligatorische Smalltalk, wenn man ein Paket gegenüber abholt oder sich beim Müll rausbringen trifft, fühlt sich lächerlich an, wenn man sich die Beziehung der Kubaner zueinander anschaut.

Hier hat man eine gute Beziehung zu seinen Nachbarn und sieht sie nicht als Fremde, die neben einem eingezogen sind, sondern sie gelten als Freunde oder fast schon als Familie, mit denen man gerne seine Freizeit verbringt.

Abendunterhaltung

Wieder dröhnt eine laute Stimme, über mir, ein Mann, der seinen Sohn zum Essen hoch ruft. „Anthony! Anthony! Anthony!!“ von irgendwo kommt endlich ein langgezogenes „Si, ya me voy!“ (Ja, ich komme schon!) Und ein zehnjähriger Junge in Schuluniform verabschiedet sich unter dem Baum von seinen spielenden Freunden und rennt Richtung Wohnhaus.

Lange ist klar, dass es gleich Abendessen geben wird, aus den verschiedenen Wohnungen riecht es gleichermaßen köstlich. Ich frage mich ob das Huhn aus dem Käfig von heute Morgen jetzt schon als Pollo Frito (frittiertes Hühnchen) auf dem Teller gelandet ist. Langsam wird es dunkel, auf dem Balkon von welchem die Reaggaton Musik rüber dröhnt, findet eine kleine Party statt, man hört Gläser klirren und schiefe Stimme die zur Musik mitsingen. Genauso wie die Kubaner auch nach Sonnenuntergang nicht leiser werden, machen die Tiere weiterhin Lärm; Zwei Katzen fauchen sich gegenseitig an, bis eine von einem Wellblechschuppen im Hinterhof mit einem schrecklichen Schrei fällt und sich verzieht. Die Hähne krähen bis tief in die Nacht, und einige von ihnen haben sich zur Aufgabe gemacht den Block schon ab 4 Uhr morgens zu wecken.

Am nächsten Tag kommen wir am späten Abend vom Ausgehen heim. Der Schäferhund bellt uns mal wieder an, seine Besitzer spielen mit anderen Nachbarn zusammen Domino und trinken Rum.

Auf der Treppe hoch in den zweiten Stock sitzt eine Gruppe Frauen. Auf der letzten Stufe stehen schon drei leere Weinflaschen, und zwei Weitere gehen unter ihnen rum. Eine Wohnungstür steht offen, aus ihr dröhnt – natürlich – Reaggaton. Sie begrüßen uns lautstark und herzlich, was sicher auch auf ihren Weinpegel zurückzuführen ist. Sie fragen uns wo wir feiern waren, wünschen uns noch einen guten Abend. Ich frage mich insgeheim, ob ich diese Frauen nicht durch unabsichtlich bei ihren Gesprächen über den Block hinweg belauscht habe. Ob gerade vor mir Ibis und ihre Freundin sitzen, ob sie Mutter von Antonio hier mit ihren Freundinnen das Wochenende feiert. Ich würde gerne die Gesichter zu den Stimmen zuordnen, die meine täglichen Hintergrundgeräusche schaffen.

Wenn man so darüber nachdenkt ist es hier niemals leise, es herrscht ständig eine Art Hintergrundgewusel. Obwohl ich mich mit den meisten Nachbarn noch nie unterhalten habe, fühle ich mich wohl in dem Wohnblock. Denn ich hab das Gefühl in dem ständigen Stimmengewirr um mich herum die Leute irgendwie kennenzulernen. Als ob ich durch die graue Wand vor mir in die Wohnungen und Leben der Kubaner hineinhören könnte.

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2 Gedanken zu „Hintergrundlärm – Alltagsleben in einem kubanischen Wohnblock“

  1. Pingback: Aus dem Schnee in die Sonne | Eine Andere Welt ist möglich

  2. Liebe Julia, mir hat Dein „Bericht aus dem Wohnblocks richtig gut gefallen. Ohne die große Politik bekommt man ganz viel mit von Kuba.

    Vielen Dank dafür
    Uli aus Essen

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