Die Symbiose zwischen Theorie und Praxis an einer kubanischen Universität – Beispiele der praktischen Förderung kubanischer Studierender

Studierende bestimmter Fachbereiche der CUJAE, die polytechnische Universität Havannas, an der auch wir als Proyecto studieren, haben die Möglichkeit schon während ihres Studiums praktisch zu forschen und zu arbeiten. Im Rahmen unseresKurses „Problemas Sociales de la Ciencia y la Tecnología“ (Gesellschaftliche Probleme in der Wissenschaft und Technologie) bekamen wir die Möglichkeit verschiedene staatliche Firmen zu besuchen. Bisher besuchten wir „

LABIOFAM“ (siehe Artikel: https://berichteaushavanna.de/2018/01/24/ein-besuch-bei-labiofam/) sowie das „Centro de Ingenería Genética y Biotechnología“ (CIGB), welche unter anderem Medikamente und Haushaltsutensilien (z.B. Putzmittel auf biologischer Basis) herstellen.

Am 11.12.2017 besuchten wir drei direkt an der CUJAE angesiedelte Firmen bzw. Einrichtungen, in denen Studierende tätig sind: Empresa de Telecomunicaciones de Cuba S.A.  (ETECSA – Telekommunikationsfirma Kubas), Centro de Investigaciones Hidráulicas (CIH – Zentrum für hydraulische Forschungen) sowie „Complejo de Investigaciones Tecnologicas Intregadas“ (CiTi – Komplex für integrierte technologische Forschung).

Besuch bei ETECSA

Wir begannen den Tag bei ETECSA, der kubanischen Telekommunikationsfirma. In einem Konferenzraum wurde uns von verschiedenen MitarbeiterInnen die Funktion und das Ziel der Zusammenarbeit zwischen der Universität und dem Unternehmen vorgestellt. Studierende des Fachbereichs Telekommunikation haben die Möglichkeit einen praktischen Anteil ihres Studiums direkt vor Ort umzusetzen und dort beispielsweise ihre Abschlussarbeiten zu realisieren. Es geht dabei um ein Zusammenarbeitsabkommen („Convenio de Colaboración“), ein Bündnis („Alianza“) zwischen einer Universität und einem Unternehmen, mit dem Ziel, die aktuell Studierenden bestmöglichst auf ihre zukünftige Arbeit nach dem Studium vorzubereiten. Durch die direkte Anbindung an die Telekommunikationsfirma ETECSA haben die Studierenden gleich die Möglichkeit das Unternehmen selbst kennenzulernen und so dann nach Abschluss ihres Studiums fließend in das Arbeitsleben in besagter übergehen zu können. Gleichzeitig kann das Unternehmen auf diese Weise sicherstellen, ihre zukünftigen Mitarbeiter schon frühzeitig vorzubereiten und in das Firmenleben zu integrieren, mit den vom Unternehmen entsprechenden Voraussetzungen (Fachwissen sowie persönliche Merkmale). Das heißt aber nicht, dass alle Studierenden des Fachbereichs Telekommunikation letztlich bei ETECSA arbeiten werden, viele aber diese Möglichkeit wahrnehmen.

Besuch beim CIH – Centro de Investigaciones Hidráulicas

Der zweite Besuch führte uns an diesem Tag zum CIH. Das Zentrum für hydraulische* Forschung ist eins von zwei universitären Zentren, die praktische Forschungen während des Studiums ermöglichen. Das CIH wurde 1969 durch die Initiative eines Professors gegründet. Es handelt sich dabei also nicht wie bei ETECSA um eine staatliche Firma, die in universitärer Zusammenarbeit steht, sondern um eine einmalige Einrichtung. In diesem Zentrum sind neben Studierenden, die forschen und ihre Abschlussarbeiten verwirklichen, Professoren, Hilfspersonal, Forscher, Teilzeitprofessoren (die zu bestimmten Themen engagiert werden) und andere Spezialisten beschäftigt. Die aktuelle Zahl beläuft sich derzeit auf 163 Personen. Das Zentrum bietet Studierenden die Möglichkeit, ihre Karriere als Hydraulikingenieur abzuschließen bzw.  einen Mastertitel sowie Doktortitel zu erreichen. Das CIH zeichnet sich vor allem durch sein exzellentes Netzwerk aus. Grundsätzlich kooperiert es mit allen kubanischen Institutionen, die mit hydraulischen Ressourcen arbeiten (insgesamt um die 250 Institutionen). Dazu zählen unter anderem nationale Institutionen wie das „INRH“ („Instituto Nacional Recursos Hidraulicas“ – Nationales Institut hydraulischer Ressourcen), „Aguas de La Habana“ (Wasser Havannas) und das „Ministerio del Turismo“ (Tourismusministerium). Die aktive Zusammenarbeit beschränkt sich allerdings nicht auf nationale Institutionen, auch international ist das CIH gut vernetzt. Genannt wurden dabei verschiedene Institutionen und Universitäten in Venezuela, Ecuador, Bolivien, Nicaragua und in den Niederlanden. Betont wurde , dass es sich bei den genannten um die derzeit aktivsten Kooperationen handelt, die Liste also nicht abschließend ist.

Die hydraulische Forschung und Entwicklung ist in einem Land wie Kuba besonders wichtig, da es schmal, lang gezogen, von allen Seiten von Meer umgeben ist,  so das Wasser in kürzester Zeit große Teile des Landes überfluten kann, insbesonders  durch  ausgiebige Regenfälle und im Herbst vermehrt auftretende Hurrikans. Damit besteht eine besondere Beziehung zwischen Kuba und Wasser.

Das Ziel der Forschungsprojekte mittels hydraulischer Ressourcen ist der Schutz des Meeres sowie der Umwelt. Geforscht wird unter anderem an Analysesystemen für Überschwemmungen und Veränderungen der Oberfläche in Küstenzonen, vor allem bezogen auf bevorstehende Hurrikans. Im Rahmen dessen geht es in einem bestehenden Projekt bspw. konkret um den Plan einer Anpassung der Küstengebiete Havannas, insbesondere des Malecóns (Küstenpromenade), zum Schutz vor Überschwemmungen aufgrund klimatischer Veränderungen. Für Projekte wie dieses in Zusammenarbeit mit verschiedenen Institutionen (hier z.B. dem historischen Amt Havannas) werden staatliche Gelder freigestellt. Weitere Projekte sind unter anderem:

– die Milderung des (Trink)Wassermangels in städtischen Gebieten durch den Umgang von innovativen Technologien: „Mas agua para todos“ – Mehr Wasser für Alle (dieses Projekt wird von der europäischen Union und der niederländischen Regierung finanziert, siehe Foto)

– sowie die Entwicklung von intelligenten Messungssystemen für hydraulische und industrielle Anwendungen/Applikationen.

Nach der ausführlichen Vorstellung des CIHs wurde uns die große Halle des Zentrums gezeigt, in dem praktische Forschungen umgesetzt werden können (siehe Foto). Ein großer eingemauerte Bereich, unterteilt in mehrere Abschnitte, bietet die Möglichkeit reale Konstruktionen aufzubauen, um  Mechanismen zu entwickeln, um Probleme zu lösen. Aktuell ist z.B. ein Flussverlauf aus einem Landesgebiet aufgebaut, in dessen Bereich es häufig zu Überschwemmungen kommt. Durch diesen praktischen Forschungsprozess konnte eine erfolgreiche Lösung entwickelt werden, die in dem entsprechenden Gebiet umgesetzt wird.

Besuch bei CiTi – Complejo de Investigaciones Tecnologicas Intregadas

Der dritte und letzte Besuch an diesem Tag führte uns zu CiTi – einem Zentrum für integrierte technologische Forschung. Auch hierbei handelt es sich nicht um eine Firma, die in universitären Beziehungen steht, sondern speziell an der CUJAE gegründet wurde, um das Forschungswissen und –interesse der Studierenden zu fördern und zu nutzen. Die Mission CiTis ist die Entwicklung von integrierten Technologien in einem umfassenden Spektrum der technologischen Wissenschaften. Der Fokus liegt auf der Entwicklung und Aufnahme/Übernahme/Umsetzung von Technologien im Interesse der inneren Sicherheit und Ordnung Kubas. Die entsprechenden Forschungsprozesse werden durch die koordinierte Arbeit zwischen Universitäten, Spezialisten, Funktionäre, der Plattform für Zusammenarbeit und anderen Institutionen ermöglicht. Dabei geht es um die Lösung von konkreten und aktuellen Problemen bspw. Ampelsysteme im Straßenverkehr durch multidisziplinäre Gruppen, die in Form von Projekten zusammenarbeiten.

Neben CiTi gibt es noch weitere ähnliche Forschungseinrichtungen in Havanna: an der U.H. – Universidad de La Habana (Universität Havanna), die UCI – Universidad de Ciencias Informáticas (Informatikwissenschaftliche Universität) und das CENATEV – Centro de Aplicaciones de Tecnologías de Avanzadas (Zentrum für die Anwendung von modernen Technologien). Alle diese Einrichtungen arbeiten zusammen mit DATYS – der zuständigen Institution für die Lösung von komplexen technologischen Problemen. Weiterhin sind vier weitere Universitäten in anderen Provinzen Kubas Teil der sogenannten Plattform für Zusammenarbeit („La plataforma de colaboración“).

Das CiTi beherbergt verschiedene Forschungsbereiche: Informatik, Industrie, Automatik, Architektur und Telekommunikation. Außerdem bietet CiTi die Möglichkeit der Realisierung von Abschlussarbeiten und diverse Ressourcen an, um Forschung zu betreiben. Studierende haben so die Möglichkeit in einem Ausmaß zu forschen, in dem sie z.B. aktuelle Probleme lösen und ihre Entwicklungen von der inneren Sicherheit und Ordnung umgesetzt werden. Damit profitieren die Studierenden davon, keine sinnlose Forschungen betreiben zu müssen, um ihr theoretisch erlerntes Wissen umsetzten zu können, sondern haben ein konkretes Ziel vor Augen. Gleichzeitig profitiert das Land Kuba von innovativen Forschungen der Studierenden. Mit 60% stellen die Studierenden den  Großteil der in CiTi aktiven Personen , 30% sind Professoren und Spezialisten sowie 10% andere Mitarbeiter (z.B. Leitung und Verwaltungspersonal). 2015-2016 waren 78 Spezialisten, 82 Professoren und 205 Studierende aus verschiedenen Fachbereichen (unter anderem: Informatik, Automatik, Telekommunikation und Industrie) im Zentrum aktiv. Der größte Anteil der Studierenden stammt aus dem Fachbereich Informatik (58%), 28% aus dem Fachbereich Industrie, 10% generiert sich aus dem  Fachbereich Telekommunikation und jeweils 2% aus Architektur und Automatik. Die meisten Studierenden steigen ab dem dritten Studienjahr aktiv in die Forschungstätig ein, wobei auch Studierenden im ersten und zweiten Studienjahr schon in einem gewissen  Rahmen bei der CiTi forschen können. Entsprechend der Studierendenanteile der Fachbereiche verteilen sich die Anteile der aktiven Professoren, z.B. sind 51% der Professoren aus dem Fachbereich Informatik. Insgesamt haben bis ins Jahr 2016 668 Studierende ihre Diploma bei CiTi verwirklicht, davon 392 in den letzten fünf Jahren.

Aktuelle angebotene Forschungsthemen im CiTi sind z.B. Bildverarbeitung, Einführung in die virtuelle Realität, Einführung in die Programmierung für Mobiltelefone und Programmierung von Software. Die erwarteten organisatorischen Kompetenzen und Werte seitens CiTis an die forschenden Studierenden sind: Integration, Führungskompetenz, Innovation, Verantwortung, Flexibilität und die Fähigkeit in Gruppen zu arbeiten.

GRISOL – Grupo de Ingenería de Soluciones ist eine Arbeitsgruppe, gegründet von Spezialisten und Professoren die mittels ihrer Kompetenzen bei auftretenden zu lösenden Problematiken spezielle Aufgaben übernehmen. Diese umfassen die Durchführbarkeit von Projekten zu analysieren, Risiken und Gefahren zu identifizieren, Lösungswege vorzuschlagen sowie die korrekte Entwicklung der initiierten Forschungsprozesse zu bewachen.

Die Verbindung zwischen Forschung und Produktion spielt eine besondere Rolle. Das heißt, dass eine Vereinbarung zwischen Forschung und Produktion in dem Sinne besteht, um die Arbeit der Professoren, der Fachbereiche und Forschungszentren zu vereinen.

Zum Abschluss des Besuchs bei CiTi wurden wir durch die technologisch modern ausgestatteten Räumlichkeiten geführt und hatten die Möglichkeit uns mit forschenden Studierenden zu unterhalten. Beispielsweise berichteten sie von einem Forschungsprojekt in dem sie sich mit der Entwicklung einer speziellen Ampelanlage an einer großen Kreuzung Havannas beschäftigen.

Es war beeindruckend zu sehen, wie viel dafür getan wird, die Studierenden des Landes schon während ihres Studiums zu fördern und zu fordern, um sie auf ihre anstehendes Arbeitsleben bestmöglichst vorzubereiten.

  • Hydraulik: Hydraulik umfasst die Lehre des Strömungsverhaltens der Flüssigkeiten. Im technischen Sinne geht es dabei unter anderem um die Nutzung von Flüssigkeiten zur Energie- und Kraftübertragung. So werden bspw. Hydraulik-Antriebe in Land- und Baumaschinen eingesetzt, wie auch Bremsen durch die Nutzung von Bremsflüssigkeit mit hydraulischer Technik funktionieren.

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