Havanna im Lesefieber: 26. Internationale Buchmesse und Buchvorstellungen mit Frei Betto

Im Februar fand in Havanna in der Festung San Carlos de La Cabaña traditionsgemäß die 26. Internationale Buchmesse statt. Dort in der Festung und an vielen anderen Orten in der Hauptstadt wurden Lesungen veranstaltet, Filme gezeigt, Podiumsdiskussionen und Präsentationen mit Teilnehmerinnen aus verschiedensten Ländern organisiert. Im Mittelpunkt der Messe standen dieses Mal die Werke des langjährigen kubanischen Erziehungs- und Kultusministers Armando Hart, dem Ehrengastland Kanada und dem im November verstorbenen Commandante Fidel Castro. Kolloquien, Dokumentarfilme und insgesamt 24 Bücher sind ihm gewidmet. Also ganz Havanna im Bücherrausch. Die cubanische Variante der Buchmesse ist etwas anders gestaltet, als wir das beispielsweise von der bekannten deutschen Buchmesse in Frankfurt kennen. Die Messe hier ist mehr Volksfest als Fachmesse. Das zeigt sich nicht nur an den vielen Essensständen, den Kinderspielplätzen und Hüpfburgen rundherum, sondern besonders an dem Publikum: Neben dem Fachpublikum sind es auffallend viele Familien und Schulklassen, die auf die Festung pilgern. Eine weitere Besonderheit: Da nicht jeder einfach mal nach Havanna jetten kann, um auf die Messe zu gehen, zieht die Buchmesse durch das Land. Bis April wird die Messe im Kleinformat mit Buchverkauf und Literaturveranstaltungen durch alle Provinzen ziehen.

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Festung San Carlos de La Cabaña: Eingang zur Buchmesse
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Buchvorstellung mit Frei Betto

So nun aber zu meinem persönlichen Highlight: Beim Durchlesen der täglich erscheinenden Festivalzeitung fiel mir gleich ins Auge, dass zwei neue Bücher von und über den brasilianischen Dominikanerpater Frei Betto, einem der bedeutendsten Vertreter der Theologie der Befreiung, vorgestellt werden: Seine Biografie und sein neuestes Werk. Ich wusste ihm Vorfeld nicht, dass er selbst da sein würde. Was für eine Überraschung und Geschenk ihn auf dem Podium zu sehen, denn wer Frei Betto einmal zuhören durfte, wie ich 1993 in Bonn auf einem internationalen Cuba- Kongress, weiß was für eine wunderbare und inspirierende Erfahrung das sein kann.

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Frei Betto und die Theologie der Befreiung

Nachdem ich feststellen musste, dass einige meiner companer@s vom Proyecto gar nichts mit dem Namen Frei Betto anfangen können, also meine Begeisterung gar nicht teilen konnten, möchte ich ihn hier kurz vorstellen: Frei Betto, was soviel wie Bruder Betto heißt, wurde 1944 in Belo Horizonte, Brasilien geboren, gehört seit 1964 dem Dominikanerorder an und ist einer der wichtigsten Befreiungstheologen Lateinamerikas und ein wichtiger Journalist und Schriftsteller mit über 60 veröffentlichten Büchern verschiedenster literarischer Genres und religiösen Themen. Er studierte Philosophie, Theologie, Antropologie und Journalistik. Bereits als junger Student engagierte sich Frei Betto in der katholischen Sozialarbeit und galt als Kämpfer gegen die 1964 installierte Militärdiktatur. Anfang der 1970er-Jahre verbrachte er zwei Jahre als politischer Häftling im Gefängnis. Aus der Volksbewegung gegen die Militärdiktatur kennt er den späteren brasilianischen Präsidenten Lula da Silva. Dieser machte ihn 2003 zum Regierungsberater; Frei Betto war für das Anti-Hunger-Programm der Regierung (Fome Zero) zuständig. Er hat zahlreiche Auszeichnungen für seine journalistische und literarische Arbeit erhalten, wie 1985 und 2005 den Jabuti-Preis, den wichtigsten Literaturpreis Brasiliens. Er ist Berater für soziale Bewegungen wie die Landarbeiterbewegung Movimento sem Terra MST in Brasilien und arbeitet heute vor allem ins Sao Paulo in Sozialprojekten in Favelas. 2013 wurde Frei Betto von der UNESCO für seinen Einsatz für Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit ausgezeichnet.

Die Biografie: Lebensweg und Werk Frei Bettos

Die erste Biografie und wie Frei Betto betont, wird das nicht die letzte sein, wurde hier auf der Buchmesse vorgestellt und ist bisher nur in portugiesisch und spanisch erhältlich. Geschaffen wurde das 560 Seiten lange Werk mit dem schlichten Titel Frei Betto, una biografia von seinen brasilianischen Landsleuten, der Journalistin Evanize Sydow und dem Historiker Americo Freire. Die beiden haben vier Jahre lang an der Biografie gearbeitet und unzählige Interviews mit WeggefährtiInnen Bettos in vielen Ländern der Welt vor allem aber in Nicaragua, Cuba, Frankreich und natürlich Brasilien geführt.

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von links nach rechts: Hermes Moreno, Direktor des Verlags Nuevo Milenio; Cesario Melantonio Neto, Botschafter Brasiliens in Cuba; Frei Betto, Evanice Sydow und Américo Freire
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Wie Frei Betto in seiner Rede hervorhob, haben ihm die Beiden mit ihrer Arbeit viele schon fast vergessene Erinnerungen aus seinem bewegten und arbeitsreichem Leben zurückgegeben. Das Vorwort der brasilianischen Ausgabe von 2016 hat sein langjähriger Freund und Mitstreiter Fidel Castro geschrieben. Fidel stellt heraus, wie sehr er Betto schätzt als einen Menschen mit einem weiten kulturellen Horizont, breiten Wissen und tiefen Überzeugungen, der selbst in Favelas gelebt und mit den Armen geteilt hat. Besonders betont er die tiefe Freundschaft, die sie beide verbindet, die sich trotz vieler Meinungsverschiedenheiten an einem Punkt vereint: Die Religion, die Betto ausübt, basiere ebenso wie die grundlegenden Werte der cubanischen Revolution auf Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und der Verpflichtung gegenüber den Armen und Unterdrückten.

Die Biografie beginnt 1985 mit dem Erscheinen des Buches Fidel und die Religion in Cuba. Dieses Buch, Ergebnis einer 23 Stunden langen Interviewsitzung von Frei Betto mit Fidel Castro über Religion, die Befreiung Lateinamerikas, die Revolution und den Sozialismus, war in wenigen Stunden in Havanna ausverkauft. Das Interesse an dem Buch war nicht nur in Cuba und Lateinamerika, sondern auf der ganzen Welt groß. Es wurde in 23 Sprachen übersetzt und in 32 Ländern publiziert und über 1 300 000 mal verkauft und hat in vielen sozialistischen Ländern für einen Annäherung der Kirche, aber vor allem von aktiven Christen mit den linken Regierungen gefördert. Der deutsche Titel lautet Nachtgespräche mit Fidel.

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Nachtgespräche mit Fidel
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Fidel and Religion

Autobiografisches: Das verlorene Paradies. Reisen durch die sozialistische Welt

Frei Betto nimmt uns in seinem neuem Werk mit auf eine Reisen durch die sozialistischen Länder zwischen 1979 und 2012. In 33 Jahren hat er unter anderem die Sowjetunion, China, Nicaragua Polen, Tschechoslowakei, DDR und immer wieder Cuba besucht und dort Vorträge gehalten, sich mit PolitikerInnen, Theologinnen, Gläubigen und Ungläubigen, Künstlerinnen und Sozialaktivistinnen getroffen und debattiert. Die Welt aus dem Blickwinkel des Südens zu erfahren, wie er in dem Buch öfter seine Gespräche einleitet, ist vielleicht das Spannende, gerade für uns aus der Perspektive der sogenannten ersten Welt. Es wäre eine Bereicherung, wenn sich für die beiden Bücher ein Verlag in Deutschland finden würde, da sie beide noch nicht auf Deutsch erschienen sind. Ein Perspektivenwechsel, der neue Horizonte eröffnet. In zwei Kapiteln beschreibt er beispielsweise die Besuche in der DDR und zwar vor und nach dem Mauerfall. Interessant sind die Fragen, die er an seine Genossinnen stellt. Er betont, dass für ihn nicht die Frage zwischen Kapitalismus und Kommunismus im Vordergrund stehe, sondern die zwischen Nord und Süd und zwischen armen und reichen Ländern, wo die Armut aus der Abhängigkeit und Ausbeutung durch die kapitalistischen Ländern kommt.

Wie er selbst in der Buchpräsentation hervorhebt, ergänzen sich daher die beiden Bücher ideal. Er hofft, dass das Aufschreiben seiner Erfahrungen vor allem der jungen Generation ermöglicht, die Vergangenheit besser nachzuvollziehen. Sie lernen die Geschichte für die Befreiung aus der Sicht der Unterdrückten kennen. Der Menschen, die nach wie vor für den Sozialismus kämpfen, im Wissen, dass es ohne ihn keine Zukunft für die Menschheit geben wird. Die jungen KämpferInnen können somit an Vergangenes anschließen, um von heute aus eine bessere Zukunft gestalten zu können.

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Bücher und infos

Biografie

Frei Betto, una biografia de Evanize Sydow y Americo Freire Editorial Jose Marti Cuba 2016 Paraiso perdido. Viajes por el mundo socialista casa Editorial Ciencias Sociales Cuba 2016

Bücher die in deutscher Sprache verfügbar sind

  • Nachtgespräche mit Fidel. Autobiographisches, Kuba, Sozialismus, Christentum, Theologie der Befreiung. Freiburg i. Ue. 1986.
  • Schule, die Leben heißt. Befreiungstheologie konkret. München 1986.
  • Zeichen des Widerspruchs. Gespräche über Politik, Religion, Ordensleben, Volksbewegungen, Jugend in Lateinamerika. Freiburg i. Ue. 1989.
  • (mit Leonardo Boff), Mystik der Strasse. Düsseldorf 1995.

Links

Offizielle Seite der Buchmesse

http://www.filcuba.cult.cu/

Frei Betto:

http://www.freibetto.org/

Artikel mit Fotos und Video zur Buchmesse auf spanisch http://bohemia.cu/cultura/2017/02/diaz-canel-y-abel-acompanan-a-frei-betto-en-la-feriavideo/

zu Frei BettoNachtgespräche mit Fidel http://www.cubafreundschaft.de/Fidel-Reden%20(2)%20ab%2001-2007/2010-05,%20GI,%20Frei%20Betto %20zu%2020%20Jahre%20Nachtgespraeche%20mit%20Fidel.pdf

Dieser Artikel ist von Linda. Hier geht es zu weiteren Artikeln von ihr.

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