9 Tage Fidel – „¡Fidel vive, la lucha sigue!“ – Gespräche über Kuba nach dem Tod Fidel Castros

header

Zum Zeitpunkt des Todes Fidel Castros befand sich ein Großteil unserer Gruppe gerade auf der Insel „Isla de la Juventud“, wo wir uns für eine Woche mit Studierenden sowohl politisch als auch kulturell ausgetauscht haben und dabei von Aktivist*innen der Partei-Jugend und der Studierendenvereinigung begleitet wurden. Bereits in der Nacht vom 25. auf den 26. November wurden wir über mehrere Telefonanrufe vom Ableben des ehemaligen Staatspräsidenten informiert. Die unmittelbaren Reaktionen unserer kubanischen Begleiter*innen reichten von tiefer Trauer und anfänglicher Ungläubigkeit bis hin zu erstaunlicher Gefasstheit. Nachdem wir uns die Situation vergegenwärtigt hatten drängte sich vor allem eine Frage auf, die vielen von uns auch vor unserem Abflug nach Kuba gestellt wurde: Welche Bedeutung wird der Tod von Fidel für Kuba haben? Anstatt uns den weltweiten medialen Spekulationen anzuschließen, hatten wir am Folgetag in mehreren Gesprächsrunden die Gelegenheit, direkt zu erfragen, was die uns begleitenden kubanischen Jugendlichen eigentlich selbst darüber denken.

Der 26. November war ein Tag der Trauer,  welcher dem Andenken an Fidel Castro Ruz, der sowohl vor der Revolution im Jahr 1959, vor allem aber danach eine große Bedeutung für die Bevölkerung hatte, gewidmet wurde. Anstatt des geplanten Programms luden uns die Kubaner*innen am Morgen zu einer Gesprächsrunde ein, in der  Erinnerungen, Erfahrungen und persönliche Begegnungen mit Fidel geteilt wurden. Die Atmosphäre war emotional bewegt und dennoch von bemerkenswerter Besonnenheit und Zuversicht geprägt.

Um einen Eindruck davon zu bekommen, welche Bedeutung die uns begleitenden Studierenden dem Tod Fidels für die Entwicklung der kubanischen Gesellschaft beimessen, haben wir im Laufe des Tages einige Fragen mit ihnen diskutiert. Diese bezogen sich neben anzunehmenden Veränderungen und Herausforderungen in Kuba auch auf ihren persönlichen Blick auf Fidel als Person und den sogenannten Fidelismus.

Zuallererst hat uns interessiert, ob Fidels Tod denn überhaupt politische Folgen haben würde – schließlich hat die Nationalversammlung bereits im Jahr 2008 Fidels Bruder Raúl zum Staatspräsidenten gewählt. Kann sein Ableben jetzt also noch zu einem Bruch in der Realpolitik führen, so wie in internationalen Medien prognostiziert wird?

Hierzu ist zunächst zu sagen, dass er sowohl bis 2011 als Generalsekretär der kommunistischen Partei als auch in den darauf folgenden Jahren ohne ausführende Ämter, weiterhin politische Fragen interpretierte und  der Bevölkerung seine Gedanken in Publikationen zugänglich machte. Unsere kubanischen Gesprächspartner*innen hoben Fidels politischen Einfluss nach 2008 in diesem Kontext auf eine viel differenziertere Ebene und erklärten diesen mit der philosophischen Grundlage der Politik Kubas, dem Materialismus: Was allen Menschen gemein ist, ist ihre physische Vergänglichkeit. Dies gelte nicht nur für Fidel, sondern auch für andere ihm vorangegangene geschichtlich prägende Figuren- wie zum Beispiel dem kubanischen Nationalhelden José Martís, dessen Ideale und Ziele auch für Fidels politische Ansätze noch eine wesentliche Grundlage gewesen sind.  Sie sind  grundlegende Prinzipien der kubanischen Politik geworden und Ergebnisse einer historischen Kontinuität, die auf der Grundlage der Ideen prägender Persönlichkeiten gewachsen sind. Fidel habe seinen Teil dazu beigetragen und sich damit in der Politik verewigt. So lange die kubanische Bevölkerung sich also dafür entscheidet, die politischen Prinzipien für die Fidel steht zu unterstützen, wird dieser weiterhin Einfluss nehmen.

„Fidel ist gestorben, seine Ideen leben weiter“.

Unsere Frage, ob Fidels Tod innerhalb der kubanischen Bevölkerung wohlmöglich systemkritische Stimmen befeuern und so eine Abkehr vom Sozialismus beginnen könnte, wurde mit „Nein, die Gefahr ist nicht größer als sonst.“ beantwortet. Die kubanische Revolution hänge nämlich nicht lediglich von Fidels physischer Anwesenheit ab sondern sei an die Notwendigkeit gekoppelt, die grundlegenden politischen Ziele Kubas zu verteidigen und das revolutionäre Prinzip als unveränderlich anzuerkennen. Die Ideale Fidels seien so tief in der Bevölkerung verankert, dass konterrevolutionäre Ideen gegen diese keine Chance hätten. Dies hieße nicht, dass es keine solcher Stimmen gebe, aber  die Bevölkerung seie sich der über Jahrzehnte erkämpften Errungenschaften bewusst und sehe sich in der Pflicht diese zu verteidigen.

Die Repräsentant*innen der Studierendenvereinigung und der kommunistischen Jugend waren sich darüber einig, dass Fidels Tod daher auch nichts an ihren Aufgaben, nämlich dem Arbeiten in den Massenorganisationen welche die Bevölkerung repräsentieren sollen, ändert. Die Arbeit konzentriere sich vor allem auf drei Bereiche:  erstens gelte es revolutionäre Bildungsarbeit zu betreiben – also die junge Generation ideologisch zu schulen; zweitens innerhalb der sozialen Netzwerke zu kämpfen – subversive durch Staaten betriebene Propaganda zu entlarven, die ein ökonomisches Interesse daran hätten einen kapitalistischen Markt in Kuba zu errichten; und drittens die Erinnerung an die Geschichte aufrecht zu erhalten – ein geschichtliches Bewusstsein sei die Voraussetzung dafür, die politischen Notwendigkeiten von heute zu verstehen.

Abschließend haben wir uns mit der Frage beschäftigt, was denn der in Kuba verbreitete Begriff Fidelismus bedeutet. Fidel scheint eine Art Ideal zu sein, eine Person, der klare und weitsichtige Visionen entsprungen sind und die vielen als großes Vorbild gilt. Mit der Zeit ist in Kuba der Begriff Fidelismus gewachsen; hierbei scheint es sich weniger um eine konkrete Definition, sondern vielmehr um eine Kombination von Zielen und Werten der kubanischen Revolution zu handeln, die – je nach persönlicher Konnotation – einen unterschiedlichen Schwerpunkt haben können. Genannte Beispiele waren kollektivistisches Denken, Humanismus, Frieden, Bewahrung der Kultur, Zusammenhalt, Solidarität und Internationalismus.

Unser Fazit und unser Plan

Fidel Castros Ableben wird die Zukunft Kubas nicht entscheiden, sondern die kubanische Demokratie, die durch die Bevölkerung getragen wird. Dies erschließen wir zumindest aus unseren Gesprächen mit den Vertreter*innen der Studierendenvereinigung und der kommunistischen Jugend. Selbstverständlich handelt es sich dabei um staatstragende Organisationen, weswegen es nicht verwundert, dass sich grundlegend positiv auf Fidel bezogen wird. Dennoch konnten wir im Hinblick auf unsere eingangs gestellte Frage nach der Zukunft Kubas nach Fidels Tod einige Erkenntnisse gewinnen, die sich in der Betrachtung im Nachhinein als plausibel erschließen: Es wäre naiv zu vermuten, dass Fidels Tod für Kuba überraschend kam – er ist im Alter von 90 Jahren verstorben. Dementsprechend unwahrscheinlich ist es, dass sich schlagartig eine politische Wende in Kuba vollziehen wird. Zudem führt Raúl Castro den politischen Weg seines Bruders fort und steht damit weiterhin hinter dem Aufbau des Sozialismus. Solange sich die kubanische Bevölkerung nicht dazu entscheide, ein anderes politisch-wirtschaftliches Konzept zu realisieren, werden Fidels Ideen weiterhin eine gewichtige Rolle spielen.

Was nun folgt ist eine neuntägige Staatstrauer, in der an vielen Orten des Landes Veranstaltungen in Gedenken an Fidel und zum politischen Austausch stattfinden. Über diese, sowie über unsere weiteren Erfahrungen und direkten Beobachtungen hier vor Ort, werden wir in den kommenden Tagen berichten – mit dem Schwerpunkt auf Havanna, wo wir uns mittlerweile alle wieder zusammen gefunden haben.

Dieser Artikel ist von Maximiliano, Lina, Janna und Marielle.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert