Der wirtschaftliche Faktor der Spezialperiode und der Weg aus der Krise (Teil 2 von 4)

Neuorganisation der kubanischen Wirtschaft

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem damit verbundenen Zusammenbruch des COMECON musste sich Kuba auf dem Weltmarkt neu positionieren. Fehlende Devisen erschwerten dieses Vorhaben aber erheblich. Kubas Industrie und Agrarwirtschaft brach ohne Unterstützung der Sowjetunion zusammen, da Kuba aufgrund des US- amerikanischen Handelsembargos keinen oder nur mangelnden Zugang zu Öl, Pestiziden, Düngern, Chemikalien, Ersatzteilen und weiteren wichtigen Ressourcen und Industriebausteinen hatte.

Somit sah sich Kuba gezwungen eine drastische Neuorganisation in der Wirtschaft vorzunehmen sowie neue Schwerpunkte in seiner Investitionspolitik setzen, um sich in den Weltmarkt integrieren zu können, weil weder die Qualität und Quantität noch die Preise der Produkte auf Weltmarktstandards ausgerichtet waren.

Das allgemeingefasste Ziel der Neuorganisation der kubanischen Wirtschaft war eine behutsame, am Markt orientierte Transformation der Ökonomie bei gleichzeitigem starken staatlichen Einfluss.

Kuba musste vor Allem anfangen, sich auf so genannten NTEs (nichttraditionelle Exportprodukte) umzuorientieren, zu denen zum Beispiel der Export von Dienstleistungen wie Ärzte und Lehrer, aber auch der Tourismussektor gehört. In diesem Zug wollte Kuba in erster Linie seine Wirtschaft von der Zuckerproduktion auf profitablere Produkte umstellen, da sich der Zuckerpreis auf dem Weltmarkt im Jahre 1990 halbierte und somit die Zuckerproduktion nicht mehr profitabel genug war.

Als einen der ersten Schritte bemühte sich Kuba, die Biotechnologie zu fördern, mit dem erhofften Ergebnis auf eine Produktionssteigerung im Pharmasektor und in der Landwirtschaft, die sich ab da an eher auf den Inlandsverbrauch und exotische Früchte zum Export konzentrierte.

Des Weiteren baute Kuba einen medizinisch- pharmazeutischen Forschungskomplex auf, um Medikamente und Impfstoffe als neues Exportgut zu verwenden und eine höhere Volksgesundheit zu erreichen. Als Beispiel erklärte uns ein Angestellter im Immunologiezentrum in Havanna, dass jährlich sieben Millionen Krebsmedikamente für den Bereich Kopf und Hals hergestellt werden, davon bleiben eine Millionen auf Kuba für den inländischen Verbrauch und sechs Millionen sind für den Export bestimmt.

Die hergestellten Medikamente stießen bei vielen Ländern auf großes Interesse, da sie trotz ihrer hohen Qualität einen verhältnismäßig niedrigen Preis hatten. Dies war der Fall, weil Kuba teilweise bestehende Patente missachtete und die in den Industrieländern vorgeschriebenen strengen Regulierungen für Erprobung und Dokumentation nicht einhielt. Kuba selbst setzte somit große Hoffnung in die sogenannte „wirtschaftlich- technische Revolution“, wie man sogar von dem Bildungsminister José Ramón Fernández zu hören bekam, der verkündete, dass das nächste Jahrhundert der Biologie gehöre und auch Castro setzt große Hoffnung in die Biotechnologie, die mit dazu beitragen soll, dass sich Kuba zu einer Weltmacht der Medizin entwickelt.

Joint Ventures wurden gebildet und das Verbot des freien Handelns auf Basis des US-Dollars gelockert, womit – auch um die Tourismusbranche attraktiver zu machen – der US-Dollar als offizielle Touristen-Währung eingeführt wurde. Dies ermöglichte einen verstärkten Kapitalzufluss aus dem Ausland, der sich von 3 Mio. US-Dollar 1989 auf 428 Mio. US- Dollar 1997 erhöhte. Somit erschloss sich der Tourismussektor als eine neue, sehr geeignete Devisenquelle für Kuba, die nebenbei noch 65.000 Arbeitsplätze bereitstellte und bis heute beständig anwächst.

Das wohl schwierigste Projekt für Kuba war aber immer noch die Suche nach neuen Bezugsmöglichkeiten für Öl unterhalb des Marktpreises. Dieses schwerwiegende Problem konnte erst 1998 behoben werden, in dem Hugo Chavez zum Staatspräsident in Venezuela gewählt wurde und anfing, mit Kuba einen „Öl-gegen-Ärzte“ Tausch zu machen.

Doch auch in der Binnenwirtschaft mussten Transitionen durchgeführt werden, um Kubas Wirtschaft wieder zu Stabilität zu verhelfen. Im Jahre 1993 wurden somit privatwirtschaftliche Tätigkeiten für 200 Berufe aus Dienstleistungs- und Kleingewerbe legalisiert, welche nicht mit staatlichen Betrieben konkurrierten. Das Ziel war dabei die zuvor in den Schwarzmarkt gedrängten Tätigkeiten staatlich kontrollieren zu können und ein erweitertes Angebot zu schaffen um die angespannte Versorgungslage zu entlasten. Des Weiteren wurden im Zuge der “Dritten Agrarreform” unproduktive Staatsbetriebe in kleinere Kooperativen umgewandelt mit der Absicht durch verstärkte Arbeitsanreize und dezentralisierterer Produktions- und Haushaltsplanung eine höhere Produktivität zu erreichen. Mit der staatlichen Steuerbehörde OTAN wurde nebenbei eine Institution geschaffen, die es vermag die kubanische Wirtschaft durch indirekte Steuern anstelle von direkten Planvorlagen zu lenken.

Seit 1996 lassen sich die Auswirkungen der Reformetappen nun deutlich erkennen. Positive Wachstumsraten, sinkendes Staatshaushaltsdefizit sowie eine deutliche Diversifizierung von Exportgütern und Handelspartnern sind Tendenzen die sich langsam aber sicher in der kubanischen Wirtschaft eingependelt zu haben scheinen.

Dieser Artikel war von Lorenz. Hier geht es zu weiteren Artikeln von ihm.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert