Wie der Präsident Havanna lahmlegt

Vom 20. bis 23. März absolvierte Barack Obama einen Staatsbesuch auf Kuba. Darüber wurde sowohl auf Kuba, als auch international viel berichtet. Wir waren an diesen Tagen zu unterschiedlichen Zeitpunkten an unterschiedlichen Orten in der Stadt unterwegs und wollen euch einen kleinen Eindruck darüber geben, wie wir die Stimmung in Havanna wahrgenommen haben.

Verkehrschaos am Sonntag:

Nach einer kurzen Nacht möchte ich Sonntagvormittag von Habana Vieja, Havannas Altstadt, zurück zum Wohnheim an der CUJAE, der Polytechnischen Universität Havannas, fahren. Diese Strecke dauert unter normalen Umständen circa 40 Minuten mit dem Bus „P9“. Dass Obamas Besuch Havanna zumindest verkehrstechnisch in einen Ausnahmezustand versetzt, sollte ich an diesem Tag feststellen.

Mit etwas Glück erwische ich den Bus und quetsche mich hinein. Die Fahrt beginnt in gewohnt munterer Atmosphäre; die Menschen reden und lachen, viele Fahrgäste lauschen der Musik, die hier in vielen Bussen im Hintergrund läuft. Einige diskutieren über den Besuch von Barack Obama, der als erster amtierender US-Präsident seit 1928 nach Kuba reist. Eine Gruppe Jugendlicher spricht über die Vorteile, die der Besuch bringen könnte. Ein älterer Herr mischt sich recht schnell und vehement in diese Gesprächsrunde ein. Es scheint ihm wichtig zu betonen, dass dieser Besuch nur ein Anfang vieler, zäher Verhandlungen sei, an deren Ende vielleicht eine Auflösung der Blockade stehen könnte. Die Jugendlichen wollen sich von seinen Argumenten allerdings nicht überzeugen lassen. Inmitten dieser lebhaften Diskussion stoppt der Bus mitten auf der Strecke. Von vorne dröhnt es, dass die Fahrt hier zu Ende ist. Unwissend, was genau der Grund hierfür ist, verlasse ich den Bus und mache mich mit den Mitreisenden in gemächlichem Tempo auf den Weg zum nächsten Halt der Linie „P9“.

Diese Haltestelle ist schon sehr überfüllt und so langsam beginne ich mir Gedanken zu machen, wie lange es wohl dauern wird, bis ich endlich zuhause ankomme. Als der erste Bus einer anderen Linie nach zwanzig Minuten losfährt und es merklich leerer wird, kehrt Hoffnung ein, dass ich das für den Abend geplante Treffen doch noch erreichen kann. Nach und nach sammeln sich weitere Bus-Gestrandete an der Haltestelle und verteilen sich auf die verschiedenen Buslinien. Endlich kommt auch der „P9“, ich steige ein. Eine ältere Dame bietet mir an, meine Tasche zu nehmen. Auf meine Frage hin beginnt sie zu erzählen, was sie über den Besuch von Obama denkt. Am nächsten Halt plötzlich ruft der Busfahrer von vorne, dass er nur bis zum Halt „Hospital Militar“ fährt. Die Fahrgäste reagieren überraschend gelassen, fast schon als hätten sie es geahnt. Am „Hospital Militar“ angekommen steige ich aus. Die Straße ist ab diesem Punkt für Autos gesperrt und durch mehrere Uniformierte abgesichert. Mit einer Handbewegung in Richtung der Polizisten frage ich einen ebenfalls wartenden Mann was das Problem bzw. die Ursache für die Sperrung dieser Straße sei. Er lächelt mich nur an und antwortet: „Obama“. Denn von hier aus führt die Straße an der CUJAE vorbei bis hin zum Flughafen, an dem der Präsident in diesem Moment ankommen soll. Aus diesem Grund ist es nicht möglich, sich motorisiert auf den Weg zu begeben.

Ich entscheide mich dazu, den Rest der Strecke zu Fuß zurück zu legen. Auf diesem Weg begegne ich nur wenigen Menschen, die Straßen wirken wie leergefegt. Einige Personen sind als Wachposten an großen Kreuzungen im Einsatz; sie überwachen teils völlig unbefahrene Straßen. Ganz vereinzelt nur kommen mir Autos entgegen. Auf dem 45-minütigen Heimweg treffe ich zwei Menschen, die sich ebenfalls dazu entschieden haben zu laufen, statt darauf zu warten, dass der Verkehr wieder fließt.

Als ich endlich an der CUJAE ankomme, begreife ich, dass Obama zumindest an diesem Tag nicht nur die Wirtschaft Cubas weitestgehend lahmlegt.

Ruhe am Montag

Am zweiten Tag des Staatsbesuches möchte ich die Stimmung in der Innenstadt Havannas miterleben. Deshalb mache ich mich mittags auf den Weg dorthin. Die Busse zur CUJAE fahren wieder, allerdings langsamer als normal. Irgendwo ist eine Straßensperre, weshalb es nur schleppend voran geht, aber als der Bus die Hauptverkehrsstraße verlässt kann er auch wieder fahren. An der Coppelia, einer berühmten Eisdiele in der Stadtmitte, steige ich aus.

Es laufen vereinzelt Menschen herum, aber im Gegensatz zum gestrigen Tag fällt vor allem eins auf: Es ist ruhig. Keine Ströme von Touristen, keine Riesenschlange an der Eisdiele, keine Straßenverkäufer, nichts. Und niemand, der an der Bushaltestelle wartet. Normalerweise wimmelt es hier von Menschen, da dies einer der Verkehrsknotenpunkte Havannas ist. Dafür steht ein Kameramann auf dem Bürgersteig und filmt die vorbeigehenden Menschen.

In der Lobby des Hotels „Havana Libre“ ist es dafür brechend voll. Jeder Platz ist belegt, überall sitzen Menschen mit Laptops und wirken beschäftigt. Ich erfahre, dass hier die Internationale Presse untergebracht ist.

Ich gehe weiter in Richtung Plaza de la Revolución. Vereinzelt sieht man Polizisten, auch hier sind kaum Menschen oder Autos unterwegs. Besonders deutlich ist die Stille des fehlenden Polizeihubschraubers, der in Deutschland bei großen Ereignissen ständig über einem kreist. Aber hier ist nichts zu hören.

In Kuba muss man aber niemandem Sicherheit durch einen kreisenden Hubschrauber vorgaukeln, was ja häufig der einzige Zweck für die Einsätze in Deutschland ist. Die Bevölkerung vertraut dem Staat und jeder hier weiß, wie wichtig der Besuch von Obama ist.

Ich komme an einem Baseballplatz vorbei, auf dem einige feine Stühle unter Zelten aufgestellt sind. Zwei Touristen fragen mich, ob der Präsident hierher kommt. Das weiß ich leider auch nicht.

Auf dem Plaza de la Revolución, ist diese angespannte Ruhe, die in der ganzen Stadt zu spüren ist, besonders deutlich. Der Paseo und einige andere Straße sind gesperrt, zu Fuß darf man aber weiter. An jeder Straßenkreuzung stehen Polizisten und leiten den Verkehr um. Ich laufe zum Denkmal von José Marti, von hier hat man einen guten Überblick über das gesamte Gebiet. Die Stille hier ist kaum zu beschreiben. Havanna ist normalerweise vor allem laut, voll und hektisch, ruhige Ecken sind kaum zu finden. Und heute: nichts. Ich warte die ganze Zeit darauf das etwas passiert, aber außer den Pfeifen der Polizisten, die den Verkehr regeln oder Touristen umleiten, bleibt alles ruhig. Vor dem Denkmal stehen einige vereinzelte Menschen, die ebenfalls auf etwas zu warten scheinen.

Unten auf dem Platz stehen einige Polizisten, auf der anderen Seite des Platzes kommen ständig Taxis und Busse mit Touristen an, die das Denkmal besuchen wollen und sich wundern, warum es geschlossen hat. Daneben stehen einige Fernsehteams. Laut hupend fährt eine Kolonne mit alten Taxis und japanischen Touristen auf den Platz, diese schießen Fotos und posieren vor den Autos – eine alltägliche Szene.

Die Polizeimotorräder setzen sich in Bewegung, die Einfahrt zum Zentralkomitee öffnet sich und heraus kommen blinkend viele schwarze und weiße Autos, einige Reisebusse, gepanzerte Fahrzeuge und noch mehr Autos. Das alles passiert so leise und schnell, dass einige Schaulustige gar nicht mitbekommen, was los ist. Die Japaner schießen immer noch ihre Fotos. Das Ganze wirkt total unwirklich – das normale Leben in Havanna und der Präsidentenbesuch zusammen auf einem Platz.

Ich gehe weiter. Auch auf den schönen, neuen Straßen rund um das Kapitol ist heute weniger los. Trotzdem sehe ich hier zum ersten Mal eine Menschenmenge. Vor dem „Gran Teatro de La Habana Alicia Alonso“, wo Obama am nächsten Tag einen Austausch mit der Zivilbevölkerung haben wird, haben sich etliche Leute versammelt. Kubaner, Touristen, Junge Menschen, Alte Menschen, Kinder. Obwohl es nichts zu sehen gibt, machen alle Fotos. Aus dem Theater winkt ein Angestellter. Schließlich beginnt ein Polizist damit, die Straße frei zu räumen und es bildet sich ein Spalier für die vorbeifahrenden Taxis, Fahrradrikschas und Autos. Auch hier scheinen alle auf etwas zu warten. Die Stimmung ist gut, es herrscht eine lockere Atmosphäre. Ein Fahrradkünstler kurvt mit einer kubanischen und amerikanischen Fahne durch die Menschenmenge. Irgendjemand hat eine Flagge des Britischen Commonwealth dabei, warum auch immer.

Ich habe für heute genug gesehen und mache mich auf den Weg zu unserem Gruppentreffen. Mein Leben geht schließlich weiter, trotz des Präsidenten.

Und auch die meisten Kubaner, die wir beide an diesen Tagen getroffen haben, sind sich trotz verschiedener Auffassungen und Hoffnungen wohl in einem einig: dass der Besuch des Präsidenten und eine Auflösung der Blockade so miteinander zusammen hängen wie diese zwei Tage.

Dieser Artikel ist von Esther und Hille. HIER und HIER geht es zu weiteren Artikeln von ihnen.

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