„No va a venir“

„Hey Americano, la guagua no va a venir.“

Ich sitze an einer Haltestelle mitten im Nirgendwo und warte auf meinen Bus. Vor mir hat sich aus dem Nichts Fernando aufgebaut, ein 32 Jahre alter Kubaner, kurze Haare, durchtrainiertem Körper, und zwinkert zu mir herüber mit einem breiten Grinsen, das seine Zahnlücke zwischen den beiden Frontzähnen zum Vorschau kommen lässt, Wahrscheinlich sehe ich etwas verwundert aus, denn ohne dass ich gefragt hätte, fügt er erläuternd hinzu:

„Obaaama“ und sein Grinsen wird noch breiter.

Nachdem ich ihm erklärt habe, dass ich kein Amerikaner sei, aber trotzdem irgendwie gerne nach Hause kommen würde, bietet er kurzerhand an, mich bis zur nächsten Haltestelle zu begleiten. Hilfsbereitschaft dieser Art ist auf Kuba allgegenwärtig. Es genügt oft ein fragender Blick und schon findet sich jemand, der einem auf die liebenswürdigste Art seine Unterstützung anbietet. Wir beginnen damit, uns zu unterhalten. Fernando arbeitet als Türsteher in mehreren Clubs in Havanna. Er betreibt allerlei Sportarten und legt großen Wert darauf, seine Zeit mit zahlreichen Freunden zu verbringen. Als ich ihn danach frage, was er von Obamas Besuch auf Kuba hält, kommt wieder die breite Zahnlücke zum Vorschein und er erzählt, dass der Besuch sehr gut sei, weil wir beide einander ansonsten nicht kennengelernt hätte, wartet eine Sekunde auf meine Reaktion und bricht dann in ansteckendes Lachen über seinen eigenen Witz aus. „Dass der Präsident der Vereinigten Staaten hierher kommt, ist wirklich nett, aber verändern wird es nichts. Kuba wird sozialistisch bleiben und einen McDonalds wird man auch nach seinem Besuch vergeblich auf der Insel suchen. – Und das ist auch gut so!“ meint Fernando. Für ihn ist der Besuch des US-Amerikanischen Staatsoberhaupts offensichtlich ziemlich belanglos. Auch eine Gruppe älterer Herren zuckt nur gleichgültig aber vergnügt mit den Schultern, als Fernando ihnen fragend zuruft, was sie denn eigentlich von dieser Geschichte hielten.

Während wir weiter gemächlich zu meiner Bushaltestelle schlendern, müssen wir alle paar Meter stehen bleiben, weil mein Begleiter Hände schütteln und Küsse auf allerlei Wangen verteilen muss. Dazwischen berichtet er, dass er ein sehr glückliches Leben führe. Viel Geld habe er zwar nicht, aber darauf komme es schließlich auch nicht an. Daran, dass Fernando glücklich ist, zweifle ich keine Minute. Wer so viele Freunde besitzt wie er, der muss wahrhaftig ein schönes Leben haben.

Irgendwann kommen wir schließlich an unserem Ziel an, verabschieden uns, und ich setze mich wieder hin, um erneut zu warten. Nach etwa einer Stunde des vergeblichen Ausschau Haltens wird mir klar, dass auch von hier aus kein Bus fahren wird. Quasi zeitgleich mit dieser Erkenntnis rollt eine nicht enden wollende Kolonne aus Polizeimotorrädern, Autos mit schwarz getönten Scheiben und Polizeiwagen an mir vorbei. Sitzt irgendwo da drin etwa der Grund, warum der Bus heute nicht kommt?

Nach einigen weiteren Minuten sehe ich ein, dass es keinen Sinn macht, eng an eng gedrückt mit den anderen unter dem kleinen Wellblechdach weiter zu hoffen. Mittlerweile hat es angefangen zu regnen, und ich höre, wie zwei schwangere Frauen sich darüber unterhalten, dass das Wetter immer schlechter werde, seit Obama auf der Insel sei. Stimmt eigentlich, sinniere ich müde, es wirkt tatsächlich so, als ob die kleine Insel keine Lust hätte, sich mit den USA einzulassen. Gleichzeitig versuche ich, mir eines der kubanischen Taxis zu schnappen, die die Strecken der Buslinien abfahren und dafür nur einen festgelegten Preis von 10 Pesos Cubanos verlangen, umgerechnet etwas weniger als 40 Eurocent. Als schließlich eines hält, ist es mit mir dann auch wirklich bis auf den letzten Platz vollgestopft, was hier nicht außergewöhnlich ist und meistens dazu beiträgt, dass sich sehr rasch die allgemeine Stimmung hebt. Eine gefühlte Ewigkeit stehen wir im Stau, weil anscheinend eine der Hauptstraßen gesperrt ist. Währenddessen geht unter der zusammengewürfelten Gesellschaft die Konversation munter weiter, über alles mögliche, auch über den Staatsbesuch, der ja offenbar der Grund für alle diese Verspätungen und Ausfälle ist. Die Leute im Taxi lachen ebenso herzlich wie Fernando, als ich sie frage, was sie denn nun von dem Besuch hielten. „Es macht keinen Unterschied, ob er hier ist oder nicht, außer dass ich normalerweise den Bus nehmen kann“ sagt eine füllige Frau, die an den rechten Rand der Rückbank gedrückt ist. Der Mann neben ihr nickt zustimmend, während die Frau an der anderen Seite der Rückbank sinngemäß einwirft, dass die USA nur wirtschaftliche Interessen im Kopf hätten und Kuba sich nicht auf einen Pakt mit dem Teufel einlassen werde. Auch der Taxifahrer, der bislang eine eher passive Rolle in dem Gespräch eingenommen hatte, stimmt an dieser Stelle zu. Im mittlerweile strömenden lauwarmen karibischen Regen komme ich nachdenklich zuhause an.

Für die meisten Kubaner, denen ich begegne, scheint der vom Rest der Welt gegenwärtig mit so viel Aufmerksamkeit beobachtete Präsidentenbesuch anscheinend keine allzu große Rolle zu spielen. Auch in den darauffolgenden Tagen wird es in den Straßen keine Besonderheiten zu beobachten geben. Die Menschen gehen davon aus, dass es sich bei der ganzen Angelegenheit ausschließlich um eine freundliche Geste handelt. Mehr nicht. Dass Kuba von nun an von Wohlstandswaren überschüttet wird, erwartet hier niemand. Obamas „Sí se puede“ hat für die stolzen fröhlichen Menschen vielmehr einen gönnerhaft ignoranten Beigeschmack. Amerikanische Verhältnisse sind für die meisten Kubaner kein Vorbild. Ganz im Gegenteil. Die in Deutschland momentan so häufig zu lesende Mahnung, dass jetzt die allerletzte Chance sei, das „richtige“ Kuba noch einmal zu sehen, wirkt hier vor Ort unbegründet, ja fast schon hysterisch. Das einzige, was Obama in der Wahrnehmung der Bevölkerung bei seinem Besuch auf Kuba hinterlassen hat, ist die Erinnerung an gesperrte Straßen und nicht fahrende Busse. Das die Wirtschaftsblockade der USA gegen Kuba bis auf kleinste Veränderungen immer noch aufrecht gehalten wird, ist hier weiterhin spürbar.

Aber auf Kuba ist man das Warten gewöhnt.

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