Comité de defensa de la revolución

Nachbarschaftsorganisationen als kleinste Zelle der cubanischen Demokratie

„En cada barrio revolución!“ („In jedem Viertel Revolution!“)

– an diesem Graffiti in den Farben der cubanischen Fahne gehe ich seit meinem Umzug jeden
Tag vorbei. Der Schriftzug, die kleinen Schnörkel der einzelnen Buchstaben, die
etwas zu große Lücke zwischen dem a von cada und dem b von barrio, sind mir so
vertraut geworden. Dieses Wandgemälde gehört genauso zu meinem Viertel, wie der
Bäcker neben der Bushaltestelle und die Kinder meiner Nachbarn. Doch neu ist,
dass ich erst seit kurzem darauf aufmerksam gemacht wurde, dass dies der
Wahlspruch der CDRs ist. CDR ist die Abkürzung für „Comité de defensa de la
revolución“, was so viel wie „Komitee zur Verteidigung der Revolution“ bedeutet.

Es sind flächendeckend existierende und agierende Nachbarschaftsorganisationen,
deren Aufgabenspektrum weit gefächert ist. So haben sie sich der Organisation
von Impfaktionen, freiwilligen Blutspenden oder Entnahmen von Zellproben für die
Krebsforschung genauso verschrieben, wie dem Ziel die Nachbarschaft und somit
ihr eigenes Wohnumfeld nach ökologischen, soziokulturellen und ästhetischen
Gesichtspunkten zu gestalten und zu verbessern. Hierzu gehören die Pflege von
Vorgärten und Anlagen, das Sammeln von Müll, um die Viertel sauber zuhalten,
gleichzeitig aber auch, um Rohstoffe wie Glas und Plastik wiederverwenden zu
können. Aus dieser Verbundenheit zur eigenen Nachbarschaft resultiert eine große
Wertschätzung und Stolz auf saubere Straßen oder z.B. einen neueröffneten
Kraftgerätepark, da jeder aus dem Viertel weiß, wie viel Arbeit hinter diesen
Projekten steckt und nicht selten auch daran mitgearbeitet hat. Gleichzeitig
kümmern sich die Mitglieder, die sogenannten Cederistas, um die Altenfürsorge
und um Nachmittagsprogramme für jegliche Altersstufen. So existieren in fast
jedem Viertel Sport- und Laiengruppen, die sich in Musik, Tanz und Theater
versuchen und ihre Ergebnisse regelmäßig vorführen, was oft in tollen Fiestas
mit der gesamten Nachbarschaft endet. Doch ganz wichtig ist auch der politische
Stellenwert der CDRs. Ein weiterer Verantwortungsbereich dieser
Nachbarschaftsorganisationen ist nämlich die politische Bildung seiner Bewohner
in Form von Schulungskursen, Vorträgen etc. Sie dienen als Schnittstelle
zwischen Bevölkerung, Behörden sowie staatlichen Organen und stellen somit die
unterste Ebene der Bürgerbeteiligung an politischen Entscheidungen dar. Bei den
regelmäßig ca. alle 2 Monate – bei Dringlichkeiten auch öfter – stattfindenden
Treffen, werden Gesetzesvorschläge diskutiert, Kommentare und Ergänzungen
gesammelt, die dann über verschiedene parlamentarische Ebenen bis zur
Nationalversammlung weitergeleitet werden können. Somit besteht die Möglichkeit
für die Bevölkerung zahlreiche Änderungen von Beschlussentwürfen direkt zu
beeinflussen, wie z.B. die auf dem Parteitag im Mai 2011 beschlossenen
Leitlinien für eine neue Wirtschaftspolitik, die zuvor auch innerhalb der
insgesamt knapp 800.000 existierenden CDRs besprochen wurden. Auch Beschwerden
der Bevölkerung, wie Probleme innerhalb der Nachbarschaft oder mit den Behörden
des Viertels, können in den CDRs eingereicht werden, da diese sich dann ihrer
annehmen und sich um eine Lösung bemühen. Außerdem garantieren sie, dass auch
Personen, die in keiner Form organisiert sind, in politische Prozesse mit
einbezogen werden. Sie sollen sich an aktuellen Diskussionen beteiligen und über
neue Beschlüsse und Entscheidungen informieren können, wenn diese öffentlich
verlesen werden. Vor einigen Tagen konnten wir selbst Teilnehmer einer solchen
Veranstaltung werden, als wir durch eine große Menschenmenge sowie einer lauten
Stimme zu einer Straßenecke gelockt wurden und uns mitten in einer Kundgebung
wiederfanden.  Anhand dieses Systems kann man einmal mehr erkennen, dass der
cubanische Staat, ein Staat der ganzen Bevölkerung ist, da jegliche Ebenen von
seinen Bewohnern getragen und aktiv mitgestaltet werden.

Entstehungsgeschichte

Auch die Polizei zieht aus den CDRs einen positiven Nutzen: in der Vergangenheit
wurde immer wieder bewiesen, dass durch die enge Zusammenarbeit innerhalb der
einzelnen Viertel Verbrechen viel schneller aufgeklärt werden konnten. Diese
Funktion hat schon eine lange Geschichte. Ehemals wurden die CDRs nämlich
gegründet, um die Bevölkerung vor den gegen die Regierung gerichteten
Terrorakten der US-Amerikaner zu schützen und konterrevolutionäre Anschläge auf
revolutionäre Errungenschaften zu verhindern.

„Wir werden den Angriffen des Imperialismus ein System der kollektiven
revolutionären Wachsamkeit entgegensetzen, denn wenn sie denken, sie könnten das
Volk besiegen, werden sie eine schreckliche Niederlage erleben! Sie werden
sehen, dass -wenn die Volksmasse sich organisiert- es keinen Imperialismus,
keine Lakaien der Imperialisten, keine Instrumente des Imperialismus gibt, die
sich bewegen können!“

Mit diesen Worten gab Fidel Castro am 28. September 1960 nach einigen
Sprengstoffanschlägen der US-amerikanischen Regierung in Zusammenarbeit mit
Exilcubanern, auf  cubanischem Boden, die Gründung der CDRs bekannt. Wie viel
Wahrheit hinter dieser Aussage steht, sollte sich in den nächsten Jahren
beweisen, als durch die enge Zusammenarbeit von revolutionären Streitkräften und
freiwilligen, von den CDRs aufgestellten Wach- und Patrouillengängen viele
konterrevolutionäre Aktionen, die oft in Blutbädern hätten enden können,
verhindert wurden. So lag die Hauptaktivität der CDRs nach ihrer Gründung im
Wachdienst, obwohl die Tatsache hiermit eine basisdemokratische Organisation
geschaffen zu haben einen nachhaltigen positiven Aspekt darstellte. Erst nach
der Schweinebuchtinvasion und dem Nachlassen der von der US-amerikanischen
Regierung verübten Bombenanschläge, konnte sich das Tätigkeitsfeld verschieben,
so dass im Laufe der Zeit eine Vielzahl von sozialen Aufgaben übernommen wurde.
Die noch bis heute existierenden Patrouillen dienen nur noch zur Eindämmung von
Kriminalität und sind weder bewaffnet, noch haben sie eine exekutive Funktion.

CDRs der Gegenwart

Heutzutage sind rund 92,6% der cubanischen Bürger, davon 58% Frauen, in einem
für ihr Wohnviertel zuständigem CDR organisiert. Die Mitgliedschaft ist ab dem
14ten Lebensjahr möglich, obwohl es teilweise auch schon Kinderorganisationen
gibt, und natürlich freiwillig. Neben den rund 2 000 bezahlten Personen, die in
der Verwaltung arbeiten, existieren unzählige weitere Ämter, die über offene
Wahlen für 2,5 Jahre vergeben werden. Die verschiedenen CDRs bilden auf lokaler,
kommunaler, provinzialer und nationaler Ebene weitere Zusammenschlüsse, um eine
flächendeckende Vernetzung und Zusammenarbeit gewährleisten zu können. Das
Potenzial dieser Organisationen, die der Staatsregierung unterstehen, findet
weltweit immer mehr Anerkennung. So haben revolutionäre Bewegungen im Ausland,
wie z.B. in Nicaragua, Angola und seit neustem auch Venezuela, versucht das
System der CDRs auf ihre jeweiligen Länder zu übertragen. Und auch wenn es
vermutlich noch in weiter Ferne liegt, so hoffe ich doch, dass ich mich eines
Tages in Deutschland in einer Nachbarschaftsorganisation nach dem Vorbild der
CDR organisieren kann. Denn somit eröffnet sich die Möglichkeit für jeden Bürger
in seinem Alltag an politischen Entscheidungen teilzunehmen, sowie aktiv durch
eigene Vorschläge, Ideen und Ablehnungen das politische Geschehen mitbestimmen
zu können.

Dieser Artikel ist von Lotta. Hier sind alle ihre Artikel.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert