Demokratie in einer Diktatur!?

Das Kommunalparlament der Volksmacht wird gewählt!

Bald sind Wahlen, das merkt man, wenn man durchs Viertel schlendert. Man kann Plakate bewundern, die zwar keine Kandidaten oder Parteien zeigen, jedoch die Aufforderung sich in welcher Form auch immer an den Wahlen zur „asamblea municipal del poder popular“ am 19. April 2015 zu beteiligen! Doch wer wird eigentlich wie gewählt? Und in welcher Form soll man Teilhaben, frage ich mich. Im folgenden Artikel werde ich versuchen die Partizipationsmöglichkeiten der cubanischen Bevölkerung im Rahmen einer theoretischen Aufarbeitung der Kommunalwahlen genauer zu ergründen und darzustellen.

Meine erste Station ist ein sogenanntes „Komitee zur Verteidigung der Revolution“, in das ich eher zufällig stolpere, als ich eine offene Tür neben einem der „Wahlplakate“ entdecke und eintrete. Ich erfahre das am 19. April im ganzen Lande Wahlen für die 168 Kommunalparlamente stattfinden, über deren Zusammensetzung alle kubanischen Bürger, die mindestens 16 Jahre alt sind, alle zweieinhalb Jahre entscheiden können (vgl.Art.100). Was zurzeit ungefähr 8.5 Millionen Menschen in 12.589 Wahlbezirken sind. Das Kommunalparlament stellt die unterste parlamentarische Ebene des politischen Systems Kubas dar. Zu seinen Aufgaben zählt die Verwaltung und Weiterentwicklung der Kommune. Es hat einen eigenen Haushalt und verschiedene Arbeitsgruppen die sich mit Kultur, Sozialem, der Sicherstellung der staatlichen Dienstleistungen und anderem beschäftigen. In diesen wird z.B über die Verwendung von Geldern für Straßenreparaturen oder Sportplätzen und Kultureinrichtungen entschieden. Gleichzeitig können sich Abgeordnete des Kommunalparlamentes in „höhere“ Parlamente wie das Provinzparlament und schließlich die Nationalversammlung des kubanischen Staates wählen lassen, welche auch legislative Macht besitzt (vgl.Art.77).

Wer will kandidieren?

Der Nominierungsprozess der Kandidaten ist gerade abgeschlossen, wie ich der mir gereichten Granma entnehmen kann. Landesweit wurden von 75% der Wahlberechtigten, 27.379 Kandidaten nominiert. Wovon, was mich erstaunt, 19.89% Jugendliche sind. Doch wie genau der Wahlprozess am 19.4 im Detail abläuft, bei dem das cubanische Volk in „freier, gleicher und geheimer Wahl“ (Vgl.Art.3) über seine zukünftigen Vertreter entscheiden soll, ist mir noch nicht vollends klar. Mit einigen Antworten, die noch mehr Fragen mit sich brachten, mache ich mich auf den Heimweg. Nicht jedoch, ohne den letzten mir mitgegebenen Rat zu befolgen, am Zeitungskiosk einen Gesetzestext für ca. einen Peso zu erwerben: Die „Gaceta oficial“ zum Ley No 72 vom 29.10.1992. Das Wahlgesetz!

Das Wahlgesetz

Aus dem Wahlgesetz erfahre ich, dass der zuvor genannte Prozess zur Nominierung der Kandidaten, welcher vom 24.2 bis zum 25.3 andauerte, keine Parteien zur Wahl zulässt, sondern nur Einzelpersonen (Vgl.Art.80). Es ist also ein völlig anderes Wahlsystem, als das in der Bundesrepublik Deutschland praktizierte. In jedem Wahlbezirk (circunscripción) gibt es verschiedene Nominationsareale (area de nominacion). In diesen kann je ein Kandidat, welcher aus dem gesamten Wahlbezirk stammen kann, für die Kommunalwahl nominiert werden (Vgl.Art.78). In jedem Nominationsareal werden hierzu von der Wahlkommission des Wahlbezirks Nominierungsversammlungen (asambleas de nominacion) durchgeführt. Auf diesen kann jeder Kubaner, jeden Bewohner des Wahlbezirks, der mindestens 16 Jahre alt ist, -inklusive sich selbst- als Kandidaten vorschlagen (Vgl.Art.83). Derjenige, der sich auf einer dieser Versammlungen gegen seine Konkurrenten durchsetzt, ist berechtigt an den Kommunalwahlen teilzunehmen (Vgl.Art.81). In den Kommunalwahlen stehen also die Gewinner der verschiedenen Nominierungsversammlungen eines Wahlbezirks in direkter Wahl zur Abstimmung.

Wahlkampf mal anders!

Vor den Kommunalwahlen müssen die Fotos und Biografien aller Kandidaten die sich qualifiziert haben, von der Wahlkommission des Bezirks an öffentlichen Plätzen ausgehangen werden (Vgl.Art.84). Es gibt auf Kuba also keine kommerziell betriebene Wahlwerbung, die aus eigener oder Partei Tasche bezahlt werden muss, wo letztlich oft das schönere Design oder die knalligere Farbe über den Wahlausgang entscheidet. Der Gewinner eines Wahlbezirks, muss mehr als 50% der Stimmen bekommen, um seinen Wahlbezirk im Kommunalparlament vertreten zu dürfen (Vgl.Art.119). Sollte niemand der Kandidaten im ersten Wahlgang mehr als 50% der Stimmen erhalten, gibt es eine Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen. Um für Transparenz und Korrektheit zu sorgen, müssen die Wahlregister, in dem alle Wähler des Wahlbezirks aufgelistet sind mindestens 30 Tage vor der Wahl im Viertel ausgehangen werden (Vgl.Art.58). Jeder kann also kontrollieren, dass er wahlberechtigt ist und sollte ein Fehler unterlaufen sein, diesen bei der lokalen Wahlkommission reklamieren, welche den Fehler ggf. unter Hinzunahme der ihr übergestellten korrigiert (Vgl.Art.59). Wofür stehen die Kandidaten? Bei einer in Augenscheinnahme der Biografen wundere ich mich, dass keine politische Agenda, Ziele und persönliche Auffassungen der Kandidaten dargestellt werden. Einzig soziales Engagement, Tätigkeiten bei denen Verantwortung übernommen wurde und ein Lebenslauf sind zu entdecken. Auf Nachfrage bei einem in der Nähe stehenden Kubaner ernte ich schallendes Gelächter. „Natürlich! Die sollen ja nicht ihre Politik machen! Die sollen unsere machen!“ Und langsam beginne ich zu verstehen, dass hier ein völlig anderes Politikverständnis den politischen Alltag bestimmt, als ich es aus Deutschland gewohnt bin. Ich denke schmunzelnd an den Slogan „Inhalte überwinden!“ der Partei „Die Partei“ und komme nicht darum herum diesem ein „persönliche“ voranzuschieben und ihn in einem völlig neuen Licht zu sehen. Hier geht es nicht darum seine persönlichen oder irgendwelche Lobbyinteressen, die sich oftmals zufälligerweise decken, zu verfolgen, sondern wahrlich ein Interessensvertreter derer zu sein, die einem ihr Vertrauen ausgesprochen haben. Das Mandat ist auf Kuba ein Ehrenamt und mit keiner finanziellen Vergütung verbunden. Der Delegierte gilt auf Kuba nicht einzig seinem Gewissen verpflichtet, wie es das deutsche Grundgesetz fordert (Vgl.Art. 38 Abs. 1 Satz 2 (GG)), sondern seinen Wählern. Für jeden Amtsträger gilt das imperative Mandat. Der Kommunalabgeordnete muss z.B. an einem Tag in der Woche im Viertel präsent sein und seiner Basis Rede und Antwort stehen. Er muss die Bedürfnisse und Interessen der Menschen seines Wahlbezirks immer wieder aufs neue wahrnehmen. Weil er weiß, dass er mindestens 2 mal im Jahr Rechenschaft über seine Arbeit ablegen muss und er jederzeit, wenn es genug Gegenstimmen gibt, basisdemokratisch aus seinem Amt enthoben werden werden kann (Vgl.Art.11). Der gesamte Elektions- und Politikprozess wird quasi von Menschen aus dem Viertel selbst organisiert und getragen. Die Wahlkommissionen müssen beispielsweise ebenso wie die Mitglieder der einzelnen Wahlvorstände in den Wahllokalen aus dem Wahlbezirk stammen, in welchem gewählt wird. Allein in den Wahllokalen unterstützen mehr als 122.970 Menschen die aktuelle Wahl als Wahlhelfer oder Präsident eines Wahlvorstandes (Vgl.Art.25./29.).

Wo wird gewählt?

Als ich mit der Begutachtung des ausgehangenen Wahlregisters und der zwei Kandidaten meines Wahlbezirks Nr.44 fertig bin, die z.B. beide keine Mitglieder der kommunistischen Partei Kubas (PCC) sind, beginne ich mir das Wahllokal (colegio electoral) anzugucken. Seit diesen Kommunalwahlen ist ein Wahllokal für bis zu 700 Menschen zuständig, welche nun in landesweit einheitlichen blauen Urnen aus Kunststoff ihre Stimme von sieben Uhr morgens bis 18 Uhr abends abgeben können (Vgl.Art.101). Weitere Neuerungen, die das Wahlgesetz nicht tangieren, sind eine nötige Unterschrift bei der Wahlzulassung und die Einrichtung von „speziellen Wahlbeobachtern“. Diese „speziellen Wahlbeobachter“ sind normale Studierende, die es sich zur Aufgabe erklärt haben den transparenten Charakter der cubanischen Demokratie am eigenen Leib zu erfahren. Sie werden mit Checklisten flächendeckend in jedem Wahllokal präsent sein und dem Wahlprozess kritisch beiwohnen. Das Recht dazu haben sie laut Artikel 112. des Wahlgesetzes, nachdem die Auszählung der Stimmen öffentlich erfolgt. Genauso wie ggf. einen Verstoß gegen das Wahlgesetz bei der Lokalen oder einer höheren Wahlkommission zu Reklamieren (Vgl.Art.104). Ich frage nach all der Theorie im Wahllokal nach, ob das gleiche für mich gilt.- Und werde prompt eingeladen mir am 19.4. ein eigenes Bild von der Wahl zu machen, und vor Ort dabei zu sein. Das Modell der kubanischen Demokratie am Beispiel der Kommunalwahlen, welches mich beeindruckt und theoretisch überzeugt hat, gilt es nun an der Praxis zu messen. Wir werden also dabei sein, wenn der Präsident des Wahlvorstandes den ersten Wählern die leere Urne demonstriert (Vgl.Art.108), die Wahlscheine austeilt und die Wahl um 18 Uhr offiziell beendet. Und werden uns schließlich bei der Auszählung der Stimmen, an der Seite des kubanischen Volkes davon überzeugen, ob die kubanische Demokratie hält, was sie verspricht.

Dies ist der erste Artikel von Hanno. Hier geht es später zu all seinen Artikeln.

Quellen:

  • Arlin Alberty Loforte: Los supervisores y observadores de las elecciones,Granma 17.2.2015 , Mit
    sicheren Schritten zu den Wahlen, Granma 27.2.15
  • Dr.Juan Mendoza Diaz: El derecho al sufragio actico en la normativa electoral cubana. Granma,
    15.4.2015
  • Juan Escalona Reguera: Gesetz Nr.72 der kubanischen Verfassung, 29.10.1992 ,Gaceta oficial Ley
    No 72, S-51-66
  • Susana Gómes Bugallo: Qué hay de nuevo en estas elecciones? ,Juventud Rebelde, 31.3.2015
  •  Gaceta oficial Ley No 72, S-51-66, 29.10.1992
  • Susana Gómes Bugallo: Qué hay de nuevo en estas elecciones? ,Juventud Rebelde, 31.3.20
Header Demokratie NULL

Dieser Artikel ist Teil unseres Demokratie Spezial

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert