Es liegt ein Gefühl in der Luft, eine ganz neue Stimmung, hier an der Technischen Universität CUJAE, in diesen angenehmen Abendstunden Ende Februar. Auf den Basketballplätzen werden nicht wie sonst lässig einige Körbe geworfen, es wird trainiert. Gleiches auf dem Fußballplatz: Kein Gebolze, sondern Training: Mit Kombinationsspiel, Erwärmung und Fitnesseinheit. Die Laufbahn ist voller als sonst. Sprinter absolvieren in regelmäßigen Abständen 100-Meter-Trainingsläufe, andere stoppen ihre Zeit erst nach einigen Kilometern. Es ist als sei die Universität aus ihrem kurzen Winterschlaf und aus den Semesterferien zu neuer Energie und Tatendrang erwacht. Die Athleten bereiten sich schon seit Wochen vor darauf vor, in den Gängen wird davon gesprochen und vermehrt sieht man die Studierenden mit den T-Shirts ihrer Fakultäten umherlaufen: Die dreiwöchigen Sportspiele des 13. März – „Los Trece“ – stehen an!
Die Eröffnung: Sportsgeist und Gedenken
Schon die Eröffnungsfeier ist ein Fest: Ein großer Teil der Studierenden – an die 1000 Menschen, wenn nicht gar mehr – haben sich auf der Tribüne oder auf dem Rasen rund um die zentrale Sportanlage versammelt. Ein Lastwagen hat große Musikboxen herangeschafft, aus denen jetzt bis weit in die Studentenunterkünfte hörbar Reggeatón und Salsa dröhnt. Langsam füllen sich die herbei geschafften Stühle mit den geladenen Gästen und die Hügel rund um den Sportplatz mit Studierenden. Dann geht es los: Unter feierlicher Musik und dem Jubel des Publikums laufen die Athleten und Athletinnen der Fakultäten ein, allen voran drei Fahnenträger, welche die Nationalflagge sowie die Flaggen von FEU[1] und UJC[2] tragen dürfen. Die Einlaufenden tragen größtenteils ihre farblichen T-Shirts und haben gar Banner gemalt, welche sie nun vor sich hertragen. Als die Sportler ihre Positionen eingenommen haben, wird das Feuer entzündet: Die Sportbeauftragten der Fakultäten und die Lehrkräfte im Bereich Sport reichen die Fackel laufend weiter und entzünden schließlich das Feuer der Unispiele. Dann kommt der politische Teil, der hier mit dem Sport Hand in Hand läuft: Die Rektorin der Universität richtet ein paar Worte an das Publikum, ebenso ein Vertreter der FEU und des Municipio Marianao. Nun werden wieder die Studierenden in den Mittelpunkt gerückt, die Feier erreicht ihren Höhepunkt. Jede der neun Fakultäten hatte ein Thema bekommen und präsentiert passend dazu Nachdenkliches, Amüsantes oder Sportliches, was dann wiederum von einer Jury bewertet wird. Wir sehen neun gewissenhaft vorgetragene Beiträge die auch vom Publikum mit viel Freude erwidert werden. Am Ende setzen sich schließlichdie Chemikerinnen mit einer sportlich-tanzenden Glanzvorstellung über Baseball die Krone der Eröffnung auf.
Von 3 Wochen Unispielen
Der folgende 13. März ist ein Gedenktag für die Studierenden, weshalb der sportliche Teil der Spiele noch einen weiteren Tag auf sich warten lässt. Die Spiele des 13. März tragen ihren Namen nicht umsonst. Am 13. März 1957 stürmten Studierende der Universität Havanna den Präsidentenpalast des Diktators Batista und besetzten eine Radiostation, von welcher aus der Studentenführer (und Namenspatron unserer Universität) José Antonio Echevarría mehrere Minuten lang eine Ansprache an das Volk verlas. Noch an jenem Tag wurde selbiger Echevarría von den Truppen der Diktatur ermordet und der Aufruhr blutig niedergeschlagen. Bis heute wird dieser heldenhaften Gruppe durch die Unispiele gedacht und ein lebendiges Denkmal gesetzt.
So beginnen die Wettkämpfe, abgesehen von einigen Vorkämpfen, erst am 14. März. Es sollen fast 3 Wochen sportlichen Wettstreits folgen, von den Highlights Baseball, Fußball und Kampfsport über die „Klassiker“ Leichtathletik, Volleyball und Schwimmen bis hin zum vermeintlichen Nischensport wie Schach, Wasserball oder gar das beliebte Domino. Fast alle Disziplinen haben eine weibliche und männliche Ausführung. Die Athleten und Teams treten in der Regel für ihre Fakultäten an und erhalten dafür gemäß der Platzierung (1., 2. Und 3.Platz) Punkte. Tritt eine Fakultät in einer Sportart nicht an gibt es Minuspunkte, ein Grund warum fast alle Studenten und Studentinnen an den Spielen teilnehmen wollen[3], schließlich will man ja nicht letzter mit seiner Fakultät werden. So entsteht schon Wochen vorher eine gewisse Rivalität zwischen den Fakultäten: Man trainiert, trägt sein Fakultäten-T-Shirt und vertieft sich in unheimlich lange Diskussionen welche Fakultät denn wichtiger und besser sei. Gut besucht sind die Sportveranstaltungen immer: Hunderte Zuschauer feuern ihre Kommilitonen und Kommilitoninnen an. Der Fußballplatz, ob Groß- oder Kleinfeld ist fast immer von Zuschauern umringt, die Hallen in denen es Kampfsport für und auf die Augen gibt, platzen aus allen Nähten und die Schwimmwettkämpfe im unieigenen Schwimmbad ziehen eine ganze Traube von sport- und feierbegeisterten Schaulustigen hinter sich her – schließlich kommt beim Schwimmbad auch gleich ein wenig Strandatmosphäre auf.
Ansichten eines Kampfrichters
Leider gehört unser Proyecto, wir studieren ja auch nur etwa 6 Monate einige der Kurse hier, keiner der neun Fakultäten an, weshalb eine Teilnahme als Athlet für mich unmöglich war. Dies bedeutete jedoch keinesfalls, dass ich von den Spielen ausgeschlossen war, hatte ich doch in Deutschland eine vollständige Ausbildung zum Fußball-Schiedsrichter genossen. Nach ein paar Gesprächen mit der Fakultät Sport „DEDER“ stand schließlich fest: Ich würde als Fußball-Schiedsrichter gemeinsam mit den Professoren und dem Schiedsrichterteam an den Spielen des 13. März teilnehmen. Zu fünft[4] nahmen wir uns der Aufgabe an, die 13 Partien (9 Gruppenspiele, Halbfinale, Kleines- und Großes Finale) zu leiten. Jedes der Spiele dauerte 80 Minuten, wobei jeweils eines auf den Morgen und eines auf den Nachmittag gelegt wurde. Die Spiele waren mal von besserer und mal von schlechterer Qualität, ohne jedoch den Anspruch von Professionalität erzeugen zu wollen, sind doch die professionellen Wettkampfsportler auf der Sportuniversität, wo sie bessere Bedingungen vorfinden. In jedem Fall waren die Partien jedoch spannend, vor allem als es in die Endrunde ging. Bei einem der Halbfinals hatten wir gar ein Elfmeterschießen, bei welchem nicht nur 5 Schützen auf jeder Seite, sondern ganze 13 Schützen pro Team antreten mussten, bis der entscheidende Schuss schließlich an die Latte gesetzt wurde. Das Publikum, welches stets reichlich und mit einer großen Portion freundschaftlicher Rivalität hinzukam, brachte in der Regel Fahnen, Musik, Kuchen, reichlich gute Laune und von Zeit zu Zeit sogar Spruchbänder mit. Das Spielgeschehen und die Spieler wurden stets von Zurufen, Kommentaren und dem einen oder anderen Gesang begleitet. Auch auf dem Platz ging es aus Schiedsrichterperspektive hoch her, was auch daran lag, dass ab diesem Jahr Schimpfwörter und Flüche konsequent mit einer gelben Karte geahndet werden sollten und auch wurden (am Ende standen deswegen 31 Gelbe Karten und eine Gelb-Rote Karte zu Buche). Doch alles in Allem fand ich die Spielweise, das Verhalten (auch gegenüber uns Schiedsrichtern) und den Fairnessgedanken sehr lobenswert. Bis auf einige heftigere Zweikämpfe, kleinere Wortgefechte unter Spielern und natürlich besagte Schimpfwörter, hatten wir keinen erwähnenswerten Zwischenfall.
Ein würdiger Abschluss
Nach fast drei Wochen Sportspielen, mit einer unbeschreiblich positiven Stimmung auf dem Campus, kamen die Spiele schließlich zu ihrem Ende. Noch einmal versammelten sich StudentInnen, ArbeiterInnen und ProfessorInnen um den zentralen Sportplatz. Noch einmal wurden Musikboxen aufgebaut und ein Programm organisiert. Diesmal gab es einen Wettkampf um die beste Choreographie, die so manches zu bieten hatte. Mit wechselnder Musikuntermalung präsentierte jeweils eine Abordnung der Fakultäten (etwa 10 Personen) synchrone Tänze, Pyramiden und Showeinlagen, die dann von einer Jury bewertet wurden. Von den Elektriker-Jungs, die unter großem Jubel und viel Gelächter ein nicht ganz ernst gemeintes Power-Programm präsentierten, über die Informatikerinnen, die als Dominosteine aufliefen, oder die galanten Architektinnen, die als Pantomime eine klasse Show hinlegten, bis hin zu den verdienten Siegerinnen von der Fakultät für Civil (Bauingenieurswesen), war dem Zuschauer so einiges geboten. Die zahlreich erschienen Studierenden, man kennt sich schließlich, begleiteten die Einlagen mit frenetischem Applaus und Zwischenrufen. Danach kam es zur spannenden Verkündung der Gesamtergebnisse und natürlich des Gesamtsiegers. Nach einem knappen Rennen, bei dem die vier Fakultäten „Tele“, „Mecánica“, „Industrial“ und „Civil“ lange Kopf an Kopf lagen, setzte sich am Ende und zum zweiten Mal hintereinander, die Fakultät „Civil“ durch und durfte sich als „Campeón“ zurecht feiern lassen. Mit einer ausgelassenen Feier am selben Tag in der Open-Air Disco „Tropical“ endeten schließlich die Spiele des 13. März. Nach 3 Wochen Sport, Spaß und Wettkampf kehrt nun im April wieder Normalität ein: Es wird wieder gebolzt, lässig werden Körbe geworfen und anstatt den Spielen zuzuschauen wird wieder für die Examen gebüffelt. Zurück bleiben viele tolle Erinnerungen, endlose Diskussionen über die Fakultäten und wer denn nun besser sei und natürlich viel Vorfreude aufs nächste Jahr, wenn es am 13. März wieder heißt: Es lebe der Sport!
[1] Federación Estudantil Universitaria (Die Massenorganisation der Studierenden Kubas)
[2] Unión de Jovenes Comunistas (Jugendorganisation der Kommunistischen Partei)
[3] Die Teilnahme für die Fakultät wird bereits im November in Fakultäten eigenen Vorkämpfen festgelegt, die Motivation ist dabei sehr hoch, wenn auch niemand gezwungen wird (schließlich ist nebenher noch ganz normal Uni)
[4] Unser Team setzte sich aus den beiden Professoren für Fußball (gleichzeitig ein hoher FIFA-Funktionär und ein ehemaliger Nationalspieler), mir, sowie zwei Schiedsrichtern des nationalen, bzw. regionalen Schiedsrichterteam zusammen, wobei letztere nicht immer konnten und wir fast jedes Spiel rotierten (Jeder kam sowohl als Assistent als auch als Leiter der Partie zum Einsatz)
Dieser Artikel ist von Kilian. Hier geht es zu weiteren von seinen Artikeln
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